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Der Triumphzug des vollendeten Gesangs

Umjubelte »Norma«-Premiere am Theater Bielefeld

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). »Dass der Bellinische Gesang in Italien und Frankreich entzückt, ist einfach und natürlich, dass aber selbst der deutsche Musikkenner sich einmal so ganz rücksichtslos der Freude eines schönen Gesanges hingab, das lässt uns zugleich tiefer in sein eigentliches Herz blicken«, stellte schon Richard Wagner ob der mitreißenden Musiksprache von Vincenzo Bellinis Oper »Norma« fest.

So berauscht, ja euphorisch wie bei der konzertanten »Norma«-Premiere in der Bielefelder Oetkerhalle erlebt man den als stur geltenden Ostwestfalen wahrlich nur ganz selten. Immer wieder unterbrachen »Bravo«-Rufe und langanhaltender Zwischenapplaus den Fluss der Tragödie rund um die unglückliche Liebe der Oberpriesterin Norma (Karine Babajanyan) zum römischen Prokonsul Pollione (Ki-Chun Park), der sich nach Jahren heimlicher Liebelei der jüngeren Priesterin Adalgisa (Anna Manasyants) zuwendet.
Der seelische Konflikt der Titelheldin entlädt sich in einer der schönsten und zugleich anspruchsvollsten Belcanto-Partien der italienischen Opernromantik. Man hatte am Theater Bielefeld mehrfach Gelegenheit, die begnadete Stimm- und Ausdruckskraft Karine Babajanyans zu bewundern. Als Norma versteht es die Armenierin noch einmal, sämtliche Erwartungen zu übertreffen und ihren Auftritt in einen Triumph zu verwandeln.
Dass hinter halsbrecherischen Koloraturen und Tonsprüngen, hinter furios dramatischen Ausbrüchen oder auch lyrischer Pianissimo-Intimität eine makellose Technik und Stimmbeherrschung steht, macht die Babajanyan völlig vergessen. Alles bei ihr ist durchdrungen von einer unaufdringlichen Beseeltheit wie Natürlichkeit im Ausdruck, die Staunen und tiefste Bewunderung hinterlässt und »nebenbei« den komplexen Charakter der Norma bis in die hintersten Seelenwinkel ausleuchtet. In ihrer »Casta-diva«-Arie, die sie in ungewöhnlich beschaulichem Tempo nimmt, bringt sie es zu einer von Hingebung und Demut durchzeichneten Pianissimo-Brillanz, die für Sekunden still betroffen macht.
Keine leichte Aufgabe, neben einer solch charismatischen Sängerin nicht zu verblassen. Doch Anna Manasyants hat neben Strahlkraft und Koloraturgeschmeide auch ein wunderschönes Mezzotimbre, mit dem sie ihrer Rolle Profil verleiht. Etwa im hinreißenden Liebesduett mit Ki-Chun Park, der zwar seinen bewährten tenoralen Belcanto-Schmelz ins Spiel brachte, interpretatorisch hingegen unsicher wirkte. So souverän besetzt die Nebenrollen, so gefühlvoll auch der von Hagen Enke einstudierte Theaterchor. Unter dem klar strukturierenden Dirigat von Peter Kuhn mit dynamisch und agogisch hergestellter Binnenspannung führten nicht zuletzt die Bielefelder Philharmoniker mit klangsinnlichem Musiziergeist diese »Norma« zu einem fulminanten Erfolg.

Artikel vom 27.12.2004