29.12.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Ich wusste, was er wollte, und komponierte seinen Auftritt zu Pferde aus dem Blickwinkel seitlich von hinten. Das wirkt nicht so pompös wie die üblichen Vorführungen, sondern eher zufällig beobachtet. Das Aufbäumen des vorwärts drängenden Pferdes vermittelt den Eindruck, als reite Olivares einem ganzes Heer voran, das er in die Schlacht führen will. Seine mächtige Figur auf dem steigenden kastanienbraunen Pferd, das er in der Levade mit nur einer Hand im Griff behält, die lange, bombastische Schärpe, der glänzende schwarze Harnisch, die goldbestickten Kniehosen und das Abzeichen des Oberkommandierenden zeigen ihn, wie er wirklich war, als imposanten Kommandeur. Er war ein willensstarker, unermüdlich tätiger Mann, der mehr vom Königreich Spanien forderte, als dieses an Kräften aufbringen konnte. Vieles erfuhr er viel zu spät, und seine intriganten Berater haben ihm nur selten die Wahrheit gesagt, da sie durch Schmeicheleien ihre eigene Position verbessern wollten. Mir wird ganz schlecht, wenn ich an diese schleimigen Höflinge denke É Aber ich muss mit diesen Herrschaften auskommen.
Als Modell war Olivares anstrengender als die Königin. Keinen Moment hielt er in der verabredeten Sitzhaltung aus. Immer war er von sprunghaften Gedanken getrieben und ruckte impulsiv sein Gesicht bald hierhin, bald dorthin. Dabei wollte er es mir recht machen: »Sagen Sie mir, wie ich meinen Kopf halten soll, Don Diego, an der Staffelei sind Sie der General! Dirigieren Sie mich wie ein Pferd - und ich pariere!«
Aber wenn man unablässig herumkorrigieren und so einen Riesen aus seinen wilden Gedanken herausholen muss, dann ist das schrecklich mühsam. Nach dem zwanzigsten oder dreißigsten vergeblichen Hinweis auf seine Kopfrichtung habe ich schließlich meiner puren Verzweiflung Luft gemacht: »Euer Gnaden, ich komme nicht voran. Ein wildes Pferd zu zügeln wäre einfacher É«
Da hat doch dieser Riese von Mann nach einem Moment des Erstaunens ein brüllendes Lachen ertönen lassen und sich für eine kurze Zeitspanne tatsächlich konzentriert. Er saß wie festgeschraubt, und ich habe die besten Augenblicke seit Jahren gehabt, in denen ich treffsicher seine markanten Züge einfing.
Er hat mir mehrfach wertvolle Steine in meinen Garten gelegt, zum Beispiel das angenehme Kirchenamt. Einige seiner anderen Wohltaten sind in der Tiefe meiner Erinnerung vergraben, wenn ich auch manchmal verstohlen daran zurückdenke! Leandra - wie mag es der leidenschaftlichen Verführerin gehen, die ich nur noch zweimal wiedergetroffen habe und nach der ich so oft und so heftig Sehnsucht verspürt habe? Nach einem Stiergefecht auf der Plaza del Palacio hatte der Conde-Duque die ganze Schar seiner Sevillaner Getreuen in eine Spieltaverne eingeladen und mich ebenso. Ein buntes Rudel von Schauspielerinnen und Sängerinnen hatte er dazubestellt. Die rassigste von allen, die Andalusierin Leandra, hat er direkt neben mich gesetzt.
»Eine Landsmännin für unseren Künstler aus Sevilla. Unterhaltet euch gut!«, tönte er gönnerhaft. Allerdings bemerkte er mein Zögern und reichte mir wenig später unauffällig einen Zettel mit den Worten: Es steht der Name einer kleinen Klosterkirche darauf. Wenn du einmal woanders beichten gehen möchtest, die Franziskanerpatres können ein Almosen gut gebrauchen.
So war er. Er dachte an fast alles. Sein Pferd kam an sein Ziel. Der tatkräftige Mann aber verfehlte es. Nachdem er von seinen Ämtern entbunden war, starb er, wahnsinnig geworden, zwei Jahre später im Exil É
Ich habe den Sturz dieses Großen überdauert und bin stolz, dass ich einen solchen Mann von nah erlebt habe, der jetzt von allen schlecht geredet wird. Unter seinen Nachfolgern ist es nicht besser geworden. Dass das Volk beinahe den spanischen Vizekönig aus Neapel vertrieben hätte und dass Spanien auf seine angestammten Rechte gegen die gotteslästerlichen Niederländer im Frieden von Münster einfach verzichten sollte, das musste er nicht mehr erleben.
Wer etwas leistet, wird verkannt, wenn er sich nicht gegenüber den Intriganten am Hof durchsetzen kann. Wer hat sich nicht alles Orden und Posten erschlichen? Zum Glück gibt es noch manche gescheite und rechtschaffene Leute É Es kann sein, dass ich die besten Ideen habe und doch nicht damit durchkomme, nur weil ich selbst nicht als Edelmann auftreten kann. Warum wird mir das nicht zugebilligt? Die Berater des Königs haben mir doch schon so oft diese entscheidende Rangerhöhung in Aussicht gestellt, wenn sie eine besondere Leistung von mir wollten. Irgendwie sollte der König dazu gebracht werden; aber er selbst entscheidet erst, wenn seine wichtigsten Granden es ihm vorschlagen. In eigener Sache bin ich zur absoluten Demut verpflichtet: Die gute Sitte lässt mich jeden Gedanken an einen persönlichen Vorteil aus meinem Herzen verbannen, wenn ich der Person des allerhöchsten Souveräns gegenübertrete.
Aber die vornehmen Anführer der vier Ritterorden, die obersten Würdenträger der Kirche und des Königreichs, sollten aufmerksam gemacht werden, dass mein Gesuch um Aufnahme nicht weniger berechtigt ist als etwa das von Calderón, dem Dichter. Er ist ein paar Monate jünger als ich und hat schon vor über einem Jahrzehnt vom König den Ritterschlag erhalten, für den Orden von Santiago. Sind meine Einfälle zum Ruhme Spaniens nicht genauso edel und wirkungsvoll wie seine? Werke der Malkunst werden ebenso wie Dichtungen nur dank göttlicher Eingebung erschaffen. Von Gott und seinen Engeln kommt jene Kraft, ohne die ich nichts wäre. Aber bin ich nicht ein fähiges Gefäß des göttlichen Geistes, der scintilla della Divinità, eines, das die innere Vorstellung in einem disegno interno aufnimmt und ihr Gestalt gibt im disegno esterno? Künden meine Werke nicht vom Edelmut der Königsfamilie und vieler anderer, geht meine Marienkrönung nicht zu Herzen wie ein Gedicht? Deswegen verfasse ich Lehrschriften, damit den Köpfen der Hofschranzen etwas von meiner Berufung deutlich wird. Und ich habe jeden meiner Sätze so klar auf die Lehre unserer Mutter Kirche abgestimmt, dass auch der Beichtvater meines Königs sein Wort einlegen kann. Es ist Zeit, dass nicht immer alle anderen mir vorgezogen werden É
Mein Blick schweift in die Ferne. Wieder und wieder atme ich tief durch und genieße das wärmende Licht der noch hoch stehenden Sonne.
Vielleicht könnte ich mit Pinsel und Palette wieder einmal etwas Anspruchsvolles schaffen, was meine Beachtung erhöht. Mein letzter großer Auftrag ist lange her. In der Krönung der Heiligen Jungfrau habe ich gezeigt, was ich kann. Doch so ein Thema ist ein Werk für die Kirche und gehorcht der frommen Tradition. So etwas haben viele gemalt, wenn ich nur an meinen Freund Martínez denke, dem ich meine Vorskizze geliefert habe und der meine Idee dann so erfolgreich in seinem Altarbild in Zaragoza darbot, dass ich am Ende den Auftrag bekam, hier für die Kapelle des Alcázar etwas Ähnliches auszuführen É Nein, solche ehrenwerten Leistungen setzen mich eher den Handwerkern gleich - welch ein bitteres Unrecht!
Ich muss mir etwas anderes einfallen lassen für die Aufnahme in den Orden. Nur die Berufung in den noblen Stand der Ritter wäre die endgültige Befreiung vom gemeinen Malerhandwerk.
Welche meiner Tätigkeiten führen mich aus den Niederungen täglicher Abhängigkeit heraus? Neben meiner Zusatzpflicht als Ayuda de Costa, die ich vor fünf Jahren übernahm, erfülle ich schließlich die Aufgabe als Superintendente de Obras particulares, was immerhin bedeutet, dass ich für die Dekoration und Ausstattung des Hofes zuständig bin. Damit liegt die Verantwortung für alles, was Macht, Reichtum und Geschmack meines Regenten versinnbildlichen soll, in meinen Händen. Dieses Feld sollte ich ausbauen. Aber in wessen Auftrag und mit welchen Geldmitteln? Mit dem Sturz des Conde-Duque de Olivares vor sechs Jahren ging leider eine Zeit hochfliegender künstlerischer Ambitionen zu Ende. Und nicht nur das. Denn kurz darauf verstarb die Königin und zwei Jahre später der Hoffnungsträger unseres Landes, der engelsgleiche Infant Balthasar Carlos, von dem ich die herrlichsten Bilder schuf, was mir alle Welt bestätigte.
Vielleicht können die Berater des Königs die lange schon gehegten Pläne wieder aufgreifen, die Empfangsräume neu herzurichten. Die viel geringeren Herrscher anderer Länder prunken mit kostbaren Altertümern und prächtigen Figuren in Marmor und Bronze, mit denen sie Anspruch und Macht vorführen. Hoffnung macht mir die Beobachtung, dass mein König in den letzten Monaten wieder ein verstärktes Interesse zeigt, hervorragende Bildwerke zu erwerben. Vielleicht knüpft er ja trotz verringerter Staatsmittel dort an, wo er schon einmal angelangt war. Denn in Madrid gab es vor knapp zehn Jahren kein ansehnliches Kunstwerk, das mein König nicht nahm und für das er obendrein noch gut bezahlte.
Was für eine Wonne war es, zu erleben, wie mein König damals eine Schiffsladung von Holztafeln und Leinwandrollen von Rubens für die Torre de la Parada und hier für den Buen-Retiro-Palast bezog. Ich schätze, wir haben inzwischen über einhundert Bilder aus RubensÕ Atelier in den verschiedenen Palästen und königlichen Häusern hängen. Nur RubensÕ Tod hat diese Flut aus Flandern gestoppt. Die ausschließliche Dekoration mit Antwerpener Produkten löst allerdings nicht die Ausstattungsprobleme des Königs, und mir hilft sie auch nicht. So gesehen muss ich Gott im Tiefsten meines Herzens danken, dass er Rubens abberufen hat. Wir würden sonst wahrlich ersticken in der Farbenflut seiner Gemälde!
Aber inzwischen gibt es einige Befürworter meiner Vorschläge an den König. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 29.12.2004