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Er selbst hatte ihr beigebracht, dass es im Leben sehr wichtig war, genau zu beobachten. Somit hatte Angelo nun Livias ungeteilte Aufmerksamkeit. Sie bemerkte sein Zögern. Sein Verhalten verursachte ein Drücken in ihrer Magengegend. Es verhieß nichts Gutes.
»Anstrengend. Lass uns einfach von etwas anderem reden. Was war bei dir los?« Während er redete, spähte er hinüber zum Sekretär, wo wie gewohnt der sortierte Stapel Post lag.
Livia merkte, dass er sich anschickte aufzustehen. Ihre Hand glitt hinüber auf sein Knie. »Bleib sitzen, Angelo.«
Das ernst gesprochene »Angelo« zauberte eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen. »Was ist passiert?«
»Ich hatte Besuch«, eröffnete Livia langsam.
»Besuch? Von wem?«
»Von der Zollfahndung. Ein Commissario Metelli.«
»Hier in unserer Wohnung?«, fragte Angelo ungläubig. »Was wollte der Commissario von dir?«
Livia nahm eine aufrechte Position ein und rutschte auf die vordere Polsterung des Sessels. Die Formulierung der Frage verriet mehr, als ihr lieb war.
»Von dir, Angelo. Von dir wollte er etliches wissen.«
»Von mir?« Angelo schnellte aus dem Sessel empor und wechselte hinüber zum Fenster. »Erzähl mir, was geschehen ist«, fuhr er fort.
Livia schilderte in knappen Sätzen den Ablauf des Besuches und schloss mit dem von Commissario Metelli gesetzten Termin am kommenden Montag.
Angelo schwieg. Sein Blick war starr.
Die Frage brannte auf Livias Lippen: »Was ist mit dem Mann, der sich von den Klippen Capris gestürzt hat? Diesem Kunsthändler? In welcher Verbindung stehst du mit ihm?«
Angelo nippte an seinem Whisky. Bedächtig setzte er sich wieder und begann in ruhigem Ton. »In der Kunstwelt laufen viele Irre herum. Mir sind davon alle möglichen Typen begegnet.«
»Das beantwortet nicht meine Frage.«
»Geduld, gleich É«, sprach Angelo sanft, rückte seinen Sessel in ihre Nähe und fasste Livias Hand. Entschlossen entzog sie ihm diese wieder. »Livia! Mir ist klar, wir müssen miteinander reden. Ich habe da sicher etwas versäumt É«
»Ich vermute, wir müssen sogar ausgiebig miteinander reden«, bekräftigte sie. »Was passiert eigentlich alles um mich herum, von dem ich bisher nicht das Geringste geahnt habe?«
»Mhm! Das Wichtigste zuerst. Ich kannte Marco Lippi, so hieß der Mann, der in Capri Selbstmord begangen hat, nur flüchtig. Ich habe von seinem Tod auch nur aus der Zeitung erfahren.«
»Warum steht dann unser Name in seinem Notizbuch?«
»Da stehen bei solchen Leuten tausend Kontaktadressen drin. Das lässt sich leicht erklären É« Angelo nippte wieder an seinem Glas, machte sich in seinem Sessel lang und streckte die Beine aus. »Es war noch vor unserer Ehe, Liebste. Wie ich im Nachhinein gehört habe, war Lippi aber kein Fachmann, sondern ein reiner Spekulant und Betrüger. Er kassierte skrupellos echtes Geld für falsche Kunstgegenstände. Das wusste ich damals allerdings noch nicht, als ich ihm das erste und einzige Mal in meinem Leben begegnete.«
»Wo war das?«
»In einem verschlafenen Kaff in der Nähe von Como; ich habe den Namen vergessen. Ich war gerade dabei, ein ramponiertes Blumenbild von Mario Nuzzi, das ich günstig erworben hatte, einem jungen Restaurator zu übergeben, der es für einen erträglichen Preis herrichten wollte. Er war zum gleichen Zeitpunkt dort aufgetaucht wie aus dem Nichts. Er stand plötzlich da samt Damenbegleitung. Gewelltes Haar, Goldkette um den Hals, Sonnenbrille - wie im Kino.«
»Einfach so?«
»Einfach so! Wie ich erst nach seinem Tod erfuhr, war er wohl schon damals auf der Flucht vor den Menschen, die ihm ihr Geld anvertraut hatten.«
»Was hat ihn denn in den Tod getrieben? Was weißt du darüber?«
»Ich weiß es nicht. Aber es kann leicht mit seinen Betrügereien und Dokumentenfälschungen zu tun haben. Er ging mit Haien um. Wie ich gehört habe, war er wohl an der Herstellung von Fälschungen beteiligt, die sämtlich schöne Signaturen trugen. Es waren Gemälde, Pastelle und Grafiken in der Manier der deutschen Expressionisten Otto Dix, Erich Heckel und Ludwig Kirchner. Er hat sie wohl auch selbst vermarktet. Vor allem deutsche Urlauber mit ihrer mächtigen D-Mark waren ganz wild darauf.«
»Das erklärt noch nicht, wie er zu unserer Adresse kam?«
»Wir kamen ins Gespräch. Und alle diese Leute suchen Kontakte zu potenten Kunden oder geeigneten Weitervermittlern.«
»Du meinst, um ihre Fälschungen den Schwarzgeldanlegern anzuhängen!«, konterte Livia.
Angelo überhörte die Bemerkung. »Ich kannte die Qualität seiner Objekte nicht und war immer interessiert an privaten Angeboten. Jedenfalls tauschten wir damals unsere Adressen aus. Das warÕs.«
»Lügner!«, schrie Livia und sprang auf. »Wie kannst du es wagen, mir solch eine Geschichte aufzutischen?«
»Ich schwöre, es ist die Wahrheit!«, versuchte Angelo sie zu beschwichtigen. Er war ebenfalls aufgestanden und wollte Livia an den Schultern fassen.
Sie schlug seine Hände zur Seite und sah ihn aufgebracht an. »So! Du willst diesen Betrüger nur ein einziges Mal in deinem Leben gesehen haben?«
»Ja!«
»Vor unserer Ehe?«
»Vor unserer Ehe!«
Livia verlor die Beherrschung. »Lügner!«
Angelo sah sie fassungslos an. Livia fing an zu schluchzen. Sie verbarg ihr Gesicht hinter den Händen und ließ sich in den Sessel fallen.
Als Livia sich wieder gefasst hatte, fragte sie mit leiser Stimme: »Erkläre mir eins: Wie kommt unsere venezianische Adresse in sein Notizbuch, bevor wir beide wussten, wo wir in Zukunft wohnen würden?«
Die Stille der Wahrheit machte sich im Salon breit.
Nach einer Weile flüsterte Angelo in das Schweigen hinein: »Tut mir Leid, Livia. Es war É es war dumm von mir.«
»Mehr als dumm!«, versetzte sie.
»Entschuldige. Ich wollte dich mit dem ganzen Mist nicht belasten.« Für einen Moment hatte Livia den Eindruck, als schäme sich Angelo für seine Lüge. Er sah sie stumm an. Sie hielt seinem Blick eisern stand. Nach einer Weile sagte er: »Gut, du sollst die ganze Wahrheit erfahren.«
»Das denke ich auch É«
»Ich habe Lippi drei Wochen vor seinem Tod noch einmal in Mailand getroffen. Davor hatten wir vielleicht drei oder vier geschäftliche Begegnungen.«
»Großartig! Das wird ja immer verrückter!«
Angelo hob beschwichtigend seine Hände. Livia konnte an seinen Gesichtszügen ablesen, wie sich Nervosität in ihm breit machte.
»Lippi ebnete mir den Weg zu einem interessanten Galeristen, mit dem ich gerade gestern noch ein gutes Geschäft gemacht habe. Die Verbindung hat sich bezahlt gemacht.«
»Das klingt doch vernünftig. Und damit sollte ich nicht belastet werden?«
»Alles lief nicht so glatt É« Angelo rückte einen Blumentopf zur Seite und setzte sich mit seinem Hinterteil auf die Fensterbank. »Lippi war É unzuverlässig. Am Ende war, wie wir jetzt wissen, sein Leben der Preis dafür. Außerdem standen zunächst keine großen Summen auf dem Spiel.«
Livias fein geschwungene Augenbrauen schossen in die Höhe. »Was heißt zunächst? Hast du dich etwa in seine Betrügereien hineinziehen lassen?«
Angelo zögerte. »Nein, nicht direkt. Er wollte von mir, dass ich seine Bilder meinen Kontakten anbot oder als Vermittler an bestimmte kleinere Auktionshäuser weitergab. Das war mir jedoch unheimlich. Ich bin nie direkt als Zwischenhändler aufgetreten. Ich habe lediglich in überregionalen Zeitungen inseriert, um mich für seine Gefälligkeiten zu revanchieren É«
»Ich bin fassungslos. Du hast dich dafür einspannen lassen, Fälschungen an den Mann zu bringen?«
»Von Fälschungen konnte ich nichts wissen. Natürlich war ich misstrauisch und habe mich nur für Objekte mit Echtheitsbescheinigungen eingesetzt. Und die hat er auch beigebracht. Witwen, Kinder oder Enkel der Meister haben die Echtheit bestätigt. Ich kann guten Gewissens sagen, ich habe in der Annahme gehandelt, die Objekte wären echt.«
»Aber dass die Echtheitszertifikate auch gefälscht waren, daran hast du nie gedacht, oder? So blauäugig kannst du doch nicht gewesen sein!«
»Ich kann dir versichern, dass ich niemandem etwas verkauft habe, was der Käufer nicht wollte. Es gab so viele Interessenten, dass Lippi fast gezwungen war, im Akkord produzieren zu lassen. Ich war überwiegend davon ausgegangen, die Abnehmer würden die Werke nur unter dem Hinweis auf die tatsächliche Herkunft verkaufen. Doch weit gefehlt. Ich selbst habe Abnehmer, die mir frank und frei erklären, sie hätten genügend so genannte ÝÄffchenÜ an der Hand.«
»Was?«
»Äffchen! So bezeichnen sie Personen, denen es nicht drauf ankommt, ob die Gemälde Originale sind. Kopien oder Originale - viele sind schon zufrieden, wenn sie Bilder kaufen, die preiswert sind, dafür den Originalen an Qualität nicht nachstehen.«
Livia schüttelte den Kopf. »Wer kann denn so naiv sein?«
»Die Welt liebt den Schein. Grafiken werden hinter dem Rücken der Künstler, manchmal auch von den originalen Platten nachgedruckt, Signaturen werden nachgeholt, Blätter und Leinwände werden manchmal sogar blanko signiert. Das kann ich nicht prüfen. Ob Gemälde, Briefmarken oder Münzen - keine Urform und kein Prägestempel ist vor einer Nachahmung sicher.«(wird fortgesetzt)

Artikel vom 06.01.2005