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»Clown Alfredo ist der witzigste!« Das dreijährige Zirkuskind Melanie jedenfalls ist hingerissen von dem Künstler, dem Bruder der Zirkusdirektorin.

Zwei Löwenbabys und
viel Spaß in der Manege

»Circus Las Vegas« gastiert auf dem Johannesberg

Von Matthias Meyer zur Heyde und Carsten Borgmeier (Fotos)
Bielefeld (WB). Der Weihnachtsmann verteilt Geschenke, die Gans schmurgelt im Ofen, der Christbaumschmuck strahlt mit den Kindergesichtern um die Wette - ein ganz normaler Heiligabend? Kein bisschen! Weihnachten im Zirkus ist auf den zweiten Blick doch anders.

»Ich wünsche mir einen Tierpark«, zwitschert die dreijährige Artistentochter Melanie sehnsuchtsvoll. »Und ich wünsche mir eine Belebung der Konjunktur«, sagt die von der enttäuschenden Saison 2004 gebeutelte Zirkusdirektorin Liane Köllner. »Wer lieb ist, auf den hört der Weihnachtsmann«, hofft Melanie. Ja, ja. Volle Vorstellungen überzeugen ihn wohl leider mehr . . .
Die große Tanne im Vorzelt, das am Abend des 24. Dezember zum gesellschaftlichen Treffpunkt für Artisten und Tierpfleger wird, blinkt bereits einen Tag vorher in ganzer Pracht. Denn an Heiligabend geben die 40 Mitglieder des »Circus Las Vegas« ihre erste Vorstellung.
Das ist geradezu ideal: Quengelnde Kinder (»Wann gibt's Geschenke?«) und entnervte Familienväter (»Der Baum steht schief!«) gehören jetzt der Vergangenheit an, denn sie besuchen, während Mama daheim noch einen Klacks Mayo an den Kartoffelsalat gibt, die beiden Löwenbabys in der Manege auf dem Johannisberg. Vorstellungsbeginn: 14 Uhr. Dauer: knapp zwei Stunden.
Löwen? Richtig: Die beiden elf Wochen alten Jungtiere, das in sich ruhende Brüderchen und sein kratzbürstiges Schwesterchen, sind ein Geschenk der Raubtierbändiger Siegfried & Roy, über deren Käfigen die jetzt in Bielefeld gastierenden Artisten bereits ihre Kunststücke vollführt haben. In der Wüste von Las Vegas - daher der Name der erst vor wenigen Monaten gegründeten Truppe.
Keiner weiß bislang, wie die Kätzchen heißen sollen. »Wir möchten sie - auf dem Johannnisberg - am 29. oder 30. Dezember auf die Namen taufen lassen, die die Bielefelder am schönsten finden«, sagt Liane Kölling.
Ob der Weihnachtsmann den Wunschzettel der Zirkuskinder aufmerksam gelesen hat? Akim (6) ist sich ganz sicher: »Ich krieg was Riesengroßes - einen Tischkicker!« Niko (7) hätte gerne ein Modellflugzeug - damit will er stracks in den Tierstall düsen, um die Löwen zu beschenken: »Mit einer Extraportion Fleisch!« Zirkuskinder, so wenig sie selber haben, lernen früh, an andere zu denken.
Groß und Klein dürfen sich freuen: »Wir legen Wert auf ein Programm, wie es sonst kaum noch zu sehen ist«, versichert Liane Köllner, die den »Circus Las Vegas« zusammen mit ihrem Mann Karl und ihrem Bruder Alfred führt. »Neuer Zirkus« heißt aber nicht »unfertige Nummern« - die Köllners sind Artisten in siebter Generation, und ihre Mitstreiter sind ebenfalls in der Manege aufgewachsen.
Also lassen sie eine Dromedarkarawane aus 1001 Nacht antraben, galoppieren auf edlen, pechschwarzen Friesenhengsten ins Rund und führen die nur noch selten gezeigte Kunst des Voltigierens vor. Hunde und Ziegen - anderswo meist getrennt präsentiert - vereinen sich hier in einer lebhaften Revue, wagemutige Artisten in der Zirkuskuppel tanzen und jonglieren auf dünnem Seil, Viviana schwingt die Hüften in zahllosen Hula-Hoop-Reifen, Natalie turnt am Trapez, und Marleen verwindet ihren grazilen Körper: »Kautschuk-Akrobatik«.
Wenn sie sich wieder entwunden hat, wenn die Clowns Spaghetti und Lefèvre abgeschminkt und vor allem die Tiere gut versorgt sind, wird gespeist. Denn dann zieht der Duft von gebratener Gans und geschmalztem Rotkohl unwiderstehlich durch die Gassen zwischen den Wohnwagen. Dann beten die Köllners mit ihren vier Kindern um ein gesegnetes Fest und ein erfolgreiches Jahr 2005.

Artikel vom 23.12.2004