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Eine Preußin mit Charme wird 100 Jahre

Anna-Sophie Kessing lebt auch in hohem Alter selbstständig in ihrer Wohnung in Halle

Halle (kg). Liegt es am Gläschen Wein, am liebsten aus einem Bocksbeutel aus Franken? Oder einfach an ihren ausgefüllten Tagen, dem Spaß an der Musik, dem Interesse an der Welt? Anna-Sophie Kessing hat kein Rezept parat. Doch heute feiert die Wahl-Hallerin, die an der Apothekerstraße lebt, ihren 100. Geburtstag - geistig frisch und immer noch ungewöhnlich selbstständig.

Anna-Sophie Kessing, geb. Bierkämper, stammt aus Hamm an der Lippe. Als mittlere von insgesamt neun Brüdern und Schwestern blieb sie nach der Schule erst einmal zu Haus, wo es an Arbeit nicht fehlte. Ihr Vater war Tischlermeister und führte ein Möbelgeschäft, die Mutter war dadurch als Geschäftsfrau tätig.
Anna-Sophie Kessing, geboren noch zu Kaisers Zeiten, verbrachte während des Ersten Weltkrieges drei Jahre bei Verwandten in Kitzingen am Main. Dort lernte »die Preußin«, wie es damals hieß, beim Tanzen auch ihren späteren Mann kennen. Josef Kessing, genannt »Jupp«, war Referendar am Oberlandesgericht.
Noch während der Verlobungszeit absolvierte die junge Frau eine dreijährige hauswirtschaftliche Ausbildung in Münster-Handorf. Da ihr Verlobter eine Assessorenstelle in Berlin bekam, wurde erst 1934 geheiratet, als Josef Kessing, ein passionierter Jäger, eine Richterstelle in Halle bekam.
In der Lindenstadt bezog das junge Paar fürs erste das »Fürstenzimmer« im ersten Haus am Platz, damals das Hotel Brune. 1935 fand man eine Wohnung im Haus Frederking in der Kaiserstraße - durchaus standesgemäß mit Parkett, aber ohne fließendes Wasser. 18 Jahre lang musste jeder Tropfen Wasser, den man benötigte, in der Küche gepumpt werden. »Der schönste Tag« war es darum auch, als Familie Kessing (1936 war Sohn Hans-Georg zur Welt gekommen, im Jahr darauf Tochter Barbara und 1942 Sohn Thomas) an den Gartnischer Weg zog.
Anna-Sophie Kessing nahm immer teil am gesellschaftlichen Leben in Halle, auch nach dem Tod ihres Mannes, der schon 1966 starb. »Ich habe nicht gefaulenzt und war immer tätig«, zieht die charmante alte Dame Bilanz. Zeit blieb ihr glücklicherweise auch für Strickkränzchen und Bridgeclub, den »Stammtisch« bei Brune, Kegelclub und Schützenfeste - die vielseitig interessierte Wahlhallerin hatte viele Jahre ein Konzertabonnement in der Oetkerhalle und ist stetiger Gast bei den Bach-Tagen, wenn auch inzwischen im Rollstuhl. Vor wenigen Monaten hat sie noch das Felix-Nussbaum-Museum in Osnabrück besucht, vor wenigen Wochen die große Haller CDU-Seniorenveranstaltung.
Und wie stellt eine 100-Jährige sich die Zukunft vor? »Ich wünsche mir, dass ich meine Kinder und meine Familie möglichst nahe bei mir habe«, sagt sie. Zu ihrem Ehrentag gratulieren neben zahlreichen Freunden und Bekannten fünf Enkelkinder und vier Urenkel. Den zahlreichen Glückwünschen schließt sich das WESTFALEN-BLATT an.

Artikel vom 23.12.2004