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Wie war Heiligabend 1944?

Nur vage Erinnerungen sind geblieben - ZDF zur letzten Kriegsweihnacht

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Heiligabend vor 60 Jahren? Viele Bielefelder können sich kaum noch an die letzte Kriegsweihnacht erinnern. Einen geschmückten Baum wenigstens versuchte man aufzustellen.

»Kerzen hatten wir ja genug«, sagt Friedrich Elsermann (75) süffisant und nennt gleich den Grund: »Kein Wunder bei dem ewigen Stromausfall!« Am 24. Dezember 1944 wurde, wie seit mehr als fünf Jahren jeden Abend, die Wohnung am Schildhof verdunkelt. Und dann hofften die aus dem zerbombten Dortmund zugezogene Großmutter, Eltern und die drei Kinder auf ruhige Stunden fern der täglichen Bedrückung.
»Stille Nacht an allen Fronten« - unter diesem Titel zeigt das ZDF heute um 20.15 Uhr dokumentarische Aufnahmen von damals. Das Fernsehen braucht das spektakuläre Bild und die sensationelle Story, allein wegen der Quote, aber damit kann nicht jeder aufwarten, jedenfalls nicht pünktlich zum 24. Dezember. »Der verheerende Bombenangriff vom 30. September ist uns viel stärker im Gedächtnis haften geblieben als die letzte Kriegsweihnacht« - sagen viele Bielefelder. Sie wollten nur eines: endlich Frieden.
Elsermann, damals 15 Jahre alt, kann sich noch an ganz unchristliche Gesprächsthemen vom Jahresende 1944 erinnern: an militärische. Im Dezember rollten zahlreiche Züge mit Panzern und anderem schweren Kriegsgerät durch Bielefeld. »Für die Ardennenoffensive, wie wir später erfuhren.« Hat sich seine Familie davon die Wende im Krieg versprochen? Keine Spur: »Wir haben auf Karten nachgeguckt, wo die Truppen laut Heeresbericht kämpften.« Das raubte vielen die vorletzte Illusion.
Die letzte Illusion waren die »Wunderwaffen«, die Raketen V1 und V2. »Aber entscheidend waren natürlich die Luftstreitkräfte der Alliierten, die nach wochenlangem diesigen Wetter um Weihnachten 1944 plötzlich wieder eingesetzt werden konnten, denn der Himmel klarte auf.«
Elsermann glaubt sich noch an Kartoffelsalat - »mit oder ohne Würstchen?« - zu Heiligabend erinnern zu können. Sicher weiß er, dass in jenen Tagen Bergleute aus dem Ruhrgebiet ganz in der Nähe (Verlängerung des Lönsweges) einen Luftschutzstollen in den Kahlen Berg trieben. Was lag auf dem Gabentisch? »Keine Ahnung - viel wird es ohnehin nicht gewesen sein.« Hat er vor der Bescherung den Gottesdienst besucht? »Ich weiß nur noch ganz allgemein, dass meine Eltern fuchsteufelswild wurden, wenn ein Treffen der Hitlerjugend mit einem kirchlichen Termin kollidierte«, sagt Elsermann.
Die erste Friedensweihnacht dagegen ist vielen Bielefeldern wesentlich besser in Erinnerung geblieben. Warum? »Die Kälte war unbeschreiblich. Und der Hunger noch viel größer als 1944.«

Artikel vom 21.12.2004