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Hans J. Pade, unser Autor, war zunächst Werbegestalter und arbeitete später mit Suchtkranken in Oerlinghausen.

Hirte sucht Esel - zwei Jungs in geheimer Mission

Hans J. Pade zeigt uns das winterliche Bielefeld des Jahres 1954

Von Matthias
Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Das Kind in der Krippe spielt die Hauptrolle in jeder Weihnachtsgeschichte, wie könnte es anders sein. Nur 1954, in der Phantasie eines kleinen Jungen, rückte ausnahmsweise mal ein Esel in den Vordergrund.

Im Mittelpunkt dieser kleinen Episode aber steht die Phantasie des damals elfjährigen Hans J. Pade, der, bevor das Wirtschaftswunder im Kinderzimmer ankam, seine Freizeit kreativ gestalten musste. Da wandelte sich die im Prinzip unspektakuläre Aufführung der Weihnachtsgeschichte zum echten Abenteuer.
Tierpark Olderdissen. Heute ein Ausflugsziel unter vielen, im Jahr 1954, »als wir nur Trümmergrundstücke als Spielplätze hatten«, ein wunderbares Erlebnis für Klein-Hänschen und seinen Spielkameraden Horst. Die beiden Jungs aus der Hermannstraße waren echte Pechvögel: In der Schulinszenierung der Geburt Christi nach Lukas 2,1-20 hatten sie nur noch die Nebenrollen zweier Hirten ergattern können.
Folglich gedachten die beiden Burschen das besinnliche Ereignis in der Turnhalle der Klosterschule mit einem Knalleffekt anzureichern . . .
Dreh- und Angelpunkt: Esel »Erwin« aus dem Tierpark Olderdissen. An Eseln gebrach es der schulischen Aufführung nämlich, und so machten sich Hans und Horst drei Tage vor Weihnachten auf, um Erwin den Weg in eine glänzende Bühnenkarriere zu ebnen. Beobachtet und wohlwollend gedeckt nur von Oma Pade.
Wie die Affäre ausging, mag man sich eingedenk der festlich-froh gestimmten Erwachsenen selber ausmalen. Welchen Schabernack der muntere Erwin in der Klosterschule (dem heute noch existierenden Backsteinbau gleich neben dem Torbogen an der Jodokuskirche) anrichtete, lese man zum eigenen Vergnügen nach in Hans J. Pades Büchlein »Erwin, der Weihnachtsesel« (58 Seiten, 7,20 Euro), das in vielen Bielefelder Buchhandlungen ausliegt.
Nicht nur machen die Kinder große Augen, wenn sie - in ihrer Phantasie - das Eselchen von Olderdissen in »Schnullrichs« Keller stapfen sehen, auch Erwachsene machen sich auf den Weg: Hans J. Pade nimmt uns mit auf einen Streifzug durch ein längst untergegangenes Bielefeld, und wer eine kleine Gedächtnisstütze braucht, fährt mit dem Finger über den Stadtplan von 1954, als Einkaufsmeilen noch Zukunftsmusik und der Ostwestfalendamm Science-fiction waren. Für den historisch korrekten Schliff haben die Mitarbeiter des Stadtarchivs gesorgt.
Von der Hermannstraße geht es am ehemaligen Tabakladen (»Eckstein«!) nach links in die Turnerstraße, vorbei am Verschlag des Klempners Ullrich. »Wenn der faustschüttelnd auf die Straße stürzte, weil wir lauthals ÝUllrich-SchnullrichÜ skandiert hatten, war dies für uns Kinder das Größte«, erinnert sich Pade.
Weiter durch die kriegszerstörten Häuserzeilen, in denen, wo möglich, das Erdgeschoss geschäftlich genutzt wurde. Über den Ulmenwall. Wer erinnert sich noch an die Färberei an der Ecke Breite Straße/Am Bach? Wer hat vor 50 Jahren Pfandflaschen und Altpapier zum Schrotthändler Saligmann gebracht, dorthin, wo jetzt ein hübsches Antiqitätengeschäft die Straße ziert? »Die 20 Pfennige haben wir umgehend in Süßigkeiten investiert«, erinnert sich Pade schmunzelnd.
Für ein paar Groschen mehr reichte der Besitzer des »Sprudelhäuschens« Erfrischungsgetränke über den Tresen des im Stil eines antiken Tempelchens gestalteten Kiosks. Wo stand das bloß? Ach ja, dort, wo die Stapenhorststraße von der Koblenzer, Verzeihung: Alfred-Bozi-Straße heißt sie ja längst, abzweigt. Und wenn Sie vor der Kunsthalle stehen, mit Blick über die breiten Fahrbahnen auf die kleine Apotheke gegenüber: Den einst links davon angelegten Fußbach erahnen Sie bestenfalls - »von dort ging's 1954 durch eine gruselige, auch am Tage lichtlose Passage via Eisenbahntunnel und Breitenbachstraße ins Johannistal«, erzählt Pade.
Sie finden die Geschichte nicht weihnachtlich genug? Aber wunderbar besinnnlich ist sie schon, das müssen Sie neidlos anerkennen. Wenn Sie, vielleicht wegen Ihrer Kinder (Pade hat auch für seine Tochter Jessica geschrieben), Wert auf den Auftritt eines richtigen Weihnachtsmannes legen, stecken Sie Ihre Nase doch mal in Pades Büchlein »Kleinbahn, ÝPlockÜ & Weihnachtsstern« (65 Seiten, 7,20 Euro). Und sei es, dass Sie nur wissen möchten, was, um Himmels willen, »Plock« war . . .

Artikel vom 24.12.2004