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Leitartikel
Das Daschner-Urteil

Spielraum für
anständige
Polizeiarbeit


Von Reinhard Brockmann
»Ein ausgesprochen weises Urteil. Es sagt unmissverständlich: Folter in Deutschland - ausgeschlossen. Und es sagt indirekt: Herr Daschner ist ein anständiger Mensch, der das Beste gewollt hat.« Prof. Christian Pfeiffer
Man muss nicht in den Überschwang des renommierten Kriminologen aus Niedersachsen einstimmen, aber das Landgericht Frankfurt hat ein wahrlich salomonisches Urteil gefällt. Der Schuldspruch ohne Strafe über Vize-Polizeichef Wolfgang Daschner und dessen Vernehmungsbeamten wird den Beteiligten vollauf gerecht, dem Rechtsstaat und der selbst einem Saddam Hussein zugebilligten Menschenwürde aber nur in Maßen.
Denn natürlich muss Folter unter allen Umständen geächtet bleiben. Ängstigen, Quälen, Schlagen dürfen nicht relativiert werden und schon gar nicht »systematisiert«. Zu Letzterem neigen in jüngster Zeit ausgerechnet Joschka Fischer und Gerhard Schröder mit Blick auf die Türkei.
Daschner hat mit seiner Selbstanzeige den Staat bewusst gezwungen, Farbe zu bekennen. Er wollte nicht die Grauzone, sondern Klarheit. Vor allem wollte Daschner ein entführtes Kind retten.
Er hätte wegen seiner Gewaltandrohung auch auf einen faulen Kompromiss im weiteren Verfahren setzen können. Niemand behaupte, korrekt handelnde Polizeioffiziere hätten so etwas nicht früher schon in ähnlichen Fällen tun müssen!
Nein, Wolfgang Daschner hat mehr Courage und Risikobewusstsein an den Tag gelegt als viele andere. Anders gesagt: Wäre Daschner zu einer schwereren Strafe verurteilt worden, er hätte auch Haft auf sich genommen.
Das Urteil wird Folgen haben. Polizeipraktiker wissen etwas genauer, wie weit ihre Spielräume in konkreten Gefahrenlagen reichen. Welcher Beamte in einem künftigen Polizeiverhör auch immer einen Entführer mit lebensrettendem Täterwissen vor sich hat, der betreffende Beamte weiß, wie nah er an die rote Linie herangehen darf. Das Urteil fordert sogar von ihm, den allerletzten Spielraum mit Courage auszureizen und nicht den bequemen Mittelweg zu wahren.
Dem gewieft hartnäckig schweigenden Täter dürfte dagegen klar werden, dass er mit billigen Lügen nicht davon kommt. Schon allein die Ungewissheit auf der Gegenseite gewährt dem Vernehmer einen psychologischen Vorteil. Nur Puristen werden diese Akzentverschiebung schon dem Kapitel »Folter« zuordnen.
Die polizeiliche Praxis bei der Verfolgung von Schwer- und Schwerstkriminalität braucht ihre Handlungsspielräume. Jenseits hoher juristischer Grundsätze müssen staatliche Vollzugsorgane in klar begrenzten Bereichen ihre Arbeit tun können.
Es bleibt dabei: Die Polizei darf bei Vernehmungen Täterwissen nicht herauspressen, wohl aber so geschickt wie möglich täuschen, bluffen und herauskitzeln. Sie darf sogar ein Foto von Wolfgang Daschner aufhängen.

Artikel vom 21.12.2004