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Die Chronik einer dramatischen Operation


Die dramatischen Stunden von Baltimore begannen am Samstag, 11. September, um 13.30 Uhr deutscher Zeit:
13.30 Uhr: Lea und Tabea werden in den OP geschoben und auf einem eigens angefertigten Tisch fixiert, auf dem sie um ihre Längsachsen gedreht werden können. Sie liegen bereits seit Freitag in einem Narkoseschlaf. Auf der Stirn der Mädchen wölben sich sechs Ausbeulungen. Es sind Silikonkissen mit einer Kochsalzlösung, die seit Juni die Kopfhaut der Kinder geweitet haben. So soll später genügend Haut zum Verschließen der Köpfe zur Verfügung stehen.
18.30 Uhr: Der Eingriff beginnt mit drei Stunden Verspätung. Ein Chirurg setzt den ersten Schnitt zur Trennung der Zwillinge, die Kreisläufe der Mädchen sind stabil.
20.30 Uhr: Die Silikonkissen sind entfernt. Ärzte legen sie neben die Köpfchen und nähen die Haut nun »falschherum« wieder auf die Beutel, damit die Haut in den kommenden Stunden nicht schrumpft.
23.30 Uhr. Vor mehr als zwei Stunden haben Chirurgen die gemeinsame Schädeldecke geöffnet. Sie trennen die Hirnhaut auf und beginnen, größere gemeinsame Blutgefäße der Kinder freizulegen und zu trennen.
Sonntag, 12. September, 1 Uhr. Tabeas Herz setzt zum ersten Mal aus. Das Mädchen wird wiederbelebt. Als das Herz nach 20 Minuten ein zweites Mal stehenbleibt, unterbricht Chefneurochirurg Benjamin Carson die Operation für längere Zeit. Er will abwarten, ob sich Tabea so weit erholt, dass die Trennung fortgesetzt werden kann.
15.30 Uhr: Die OP ist seit mehr als 14 Stunden unterbrochen. Carson entscheidet, die Trennung vorerst nicht fortzuführen und den Mädchen eine Ruhephase von drei Tagen zu ermöglichen. Sie werden während dieser Zeit in einem künstlichen Schlaf liegen.
Mittwoch, 15. September, 12 Uhr deutscher Zeit. Die Operation wird fortgesetzt. Ärzte entfernen die Titanplatten, mit denen die Köpfchen der Kinder vor drei Tagen provisorisch verschlossen worden waren. Das OP-Team geht davon aus, dass die Trennung noch zwölf bis 18 Stunden dauern wird.
15.30 Uhr: Das Krankenhaus teilt mit, dass es die Kindern gut geht.
19.30 Uhr: Die Ärzte haben das gemeinsame Venengeflecht der siamesischen Zwillinge an der Rückseite der Köpfe zur Hälfte getrennt.
23.30 Uhr: Die Neurochirurgen benutzen ein Spezialmikroskop, weil die Gehirne miteinander verklebt sind und die Trennung sehr schwierig wird.
Donnerstag, 5.30 Uhr: Tabea verliert viel Blut, und ihr Herz schlägt nicht mehr richtig. Die Ärzte müssen dem Mädchen vier Blutkonserven geben - eine Menge, die die normale Eigenblutmenge des Kindes um das Mehrfache übertrifft. Das Leben des Kindes steht auf der Kippe. Deshalb wird die Trennung jetzt unter Zeitdruck fortgesetzt.
6.15 Uhr: Die Ärzte ziehen die OP-Tische auseinander. Zum ersten Mal in ihrem Leben sind Lea und Tabea getrennt. Aber Tabeas Kreislauf bricht zusammen. Carson weiß, dass das Mädchen sterben wird. Er lässt Tabea deshalb zu ihren Eltern bringen, die in den letzten Minuten des Kindes bei ihm sind.
8 Uhr. Lea wird auf die Intensivstation gebracht. Sie hat es geschafft.

Artikel vom 31.12.2004