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BEK-Hausarztmodell bundesweit

Lotsenfunktion - nur einmal im Jahr wird Praxisgebühr fällig

Berlin (dpa). Die gut 5,4 Millionen Mitglieder der Barmer Ersatzkasse (BEK) müssen künftig nur einmal im Jahr eine Praxisgebühr bezahlen, wenn sie bei Erkrankungen immer erst zum Hausarzt und dann zur Hausapotheke gehen.

Den ersten bundesweiten Vertrag für einen solche integrierte Patientenversorgung schloss die BEK mit dem Verband der Hausärzte und Apotheker. Ohne Einschaltung des Hausarztes können BEK-Patienten auch künftig direkt zum Frauen- oder Augenarzt
gehen.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sprach von einem »Zukunftsmodell«, das eine »rationale« und kostengünstige Therapie ermögliche. Kritik kam von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Facharztverband Virchow-Bund.
Mit dem Modell werden nach den Worten von Schmidt »zwei Fliegen mit einer Klappe« geschlagen, weil Hausarzt und Hausapotheker kooperieren. Sie erhofft sich davon einen »Durchbruch zu mehr Qualität, Effizienz und Wirtschaftlichkei«. Der Hausarzt werde mit dem Modell als Lotse im Gesundheitssystem etabliert und der Hausapotheker in die »abgestimmte Behandlung« einbezogen, erläuterte Schmidt.
Die Ministerin wies darauf hin, dass auch die anderen gesetzlichen Krankenkassen das Modell anbieten müssten.
Bisher werden Hausarztmodelle nur auf regionaler Ebene praktiziert.
BEK-Chef Eckart Fiedler sagte, die freiwillige Teilnahme an einem Hausarzt- und Hausapothekermodell bedeute für die Versicherten eine indirekte Beitragssenkung von bis zu 0,3 Punkten.
Die Ersparnis macht im Jahr maximal 30 Euro bei alleinstehenden Mitgliedern und 60 Euro bei Familien aus. Die größte deutsche Krankenkasse erhofft sich Einsparungen durch den Wegfall überflüssiger Doppeluntersuchungen.
Durch Einbeziehung der Hausapotheker sollen zudem die »katastrophalen Folgen« von Medikamenten-Wechselwirkungen minimiert werden. Diese können sich ergeben, wenn verschiedene Ärzte Medikamente verordnen und der Patient diese sich nicht in der selben Apotheke abholt. Durch solche Wechselwirkungen sterben - so Fiedler - ährlich drei bis vier Mal mehr Menschen als bei Verkehrsunfällen.
Für das neue Therapie-Modell müssen die teilnehmenden Hausärzte sich besonders qualifizieren. Sie erhalten eine Sonderhonorierung von etwa 35 Euro pro Jahr und Patient. Die Kosten dafür taxiert die BEK auf 50 bis 60 Millionen Euro im Jahr und Mindereinnahmen von 20 Millionen Euro, weil sich Patienten von der Praxisgebühr befreien lassen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Ärzteverband NAV-Virchow-Bund kritisierten die Vereinbarung. Die Krankenkassen könnten sich die Hausärzte aussuchen, mit denen sie einen Vertrag schließen. Dadurch werde die Sicherstellung einer flächendeckenden ärztlichen Versorgung ausgehöhlt, sagte der neue KBV-Vorsitzende Andreas Köhler.
Als »den größten Bluff des Jahres« hat der Vorsitzende des Virchow-Bundes, Maximillian Zollner, das geplante Hausarztmodell der Barmer Ersatzkasse bezeichnet. »Der Patient gibt für den billigen Köder von zwei oder drei Praxisgebühren sein Recht auf freie Arztwahl auf und hat keinen erkennbaren Vorteil daraus«, erklärte er gestern in Berlin. »Es ist weder absehbar noch wahrscheinlich, dass sich das Modell rechnen wird. Denn schon heute schon nutzen bei freier Arztwahl 93 Prozent der Patienten zuerst und überweigend ihren Hausarzt«, resümierte Zollner.
Dagegen hat sich aus Sicht der AOK das Hausarztmodell nach einjähriger Probezeit in Baden-Württemberg bewährt. »90 Prozent der 7500 Teilnehmer sind von dem Konzept überzeugt, weil die Überweisung an die Fachärzte reibungsloser und ohne unnötig lange Wartezeiten geschehe und die Behandlung transparenter sei.«

Artikel vom 23.12.2004