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Siamesische Zwillinge

Tabea hatte von Anfang an die schlechteren Chancen

Weil die Ärzte in Bethel den siamesischen Zwillingen Lea und Tabea aus Lemgo ungleiche Überlebenschancen gaben, suchten die Eltern Nelly und Peter B. ihr Heil in den USA.


Über den Tod des siamesichen Zwillingsmädchens Tabea (1) aus Lemgo möchte niemand aus der Ärzteschaft des Bielefelder Krankenhauses Gilead öffentlich sprechen. »Das sähe wie Nachkarten aus«, sagt ein Mediziner. Denn hier, in Bethel, hatte man früh erkannt, dass die Überlebenschancen Tabeas bei einer Trennung deutlich schlechter sein würden als die ihrer Schwester Lea - ein Befund, den die Eltern nicht hätten hören wollen, wie es heißt.
Lea und Tabea waren im August 2003 mit zusammengewachsenen Hinterköpfen auf die Welt gekommen. In den folgenden Monaten waren die Mädchen mehrfach in Bethel von Neurochirurgen und anderen Ärzten untersucht worden. »Die Verteilung der gemeinsamen Blutgefäße war für Tabea deutlich ungünstiger«, erinnert sich ein Arzt. Dass man dieses damals klar gesagt habe, hätten die Eltern wohl nicht erwartet. Sie lehnten eine Trennung ihrer Kinder in Deutschland ab und wandten sich an den amerikanischen Kinderneurochirurgen Benjamin Carson: »Entscheidend war wohl, dass Herr Carson ein sehr gläubiger Mensch ist - ebenso wie die Eltern.« Denn medizinisch sei die Reise in die USA nicht notwendig gewesen, heißt es in Bethel - auch wenn die Mindener Betriebskrankenkasse »Melitta plus« die Übernahme der OP-Kosten von 1,3 Millionen Euro damit gerechtfertigt habe, dass eine Trennung in Deutschland nicht möglich sei.
Der Tod Tabeas während der Trennungs-OP am 16. September - er kam nicht für alle Ärzte in Bethel überraschend. »Hätten wir die Mädchen getrennt, hätten wir das in mehreren Operationen getan, die wir über Monate verteilt hätten«, sagt ein Mediziner. Mit einer solchen Trennung (vier Eingriffe in zehn Monaten) waren im August in New York die siamesichen Zwillinge Clarence und Carl getrennt worden, die ebenfalls an den Hinterköpfen zusammengewachsen waren. »Den beiden geht es prächtig«, erklärte in der vergangenen Woche ein Sprecher des New Yorker Montefiore-Krankenhauses.

Ein Beitrag von
Christian Althoff

Artikel vom 31.12.2004