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Türkische Christen in Sorge

Minderheit fühlt sich von Politikern in Europa vergessen

Von Rolf Dressler
Bielefeld (WB). Die heute kaum noch 110000 Christen unter den 70 Millionen Moslems in der Türkei, seit Jahrzehnten in großer Bedrängnis, sind neuerlich in Sorge.

Unverständlich erscheint ihnen die Behauptung vornehmlich auch maßgeblicher deutscher Politiker von SPD, Grünen und der CDU, die Türkei habe »alle Bedingungen« für die Aufnahme von Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union erfüllt.
Diese Auffassung der rot-grünen deutschen Regierung bekräftigte am Wochenende abermals auch der CDU-Politiker Volker Rühe. Sie steht jedoch nach den Erfahrungen der christlichen Gemeinden in der Türkei in krassem Widerspruch zu der tatsächlichen Lebenswirklichkeit, die geprägt ist von massiver Schikanierung und Drangsalierung Andersgläubiger. Das aber blenden namentlich deutsche Politiker ebenso aus wie die anhaltende Unterdrückung der Frauen einschließlich der Zwangsverheiratungen sogar noch sehr junger türkischer bzw. türkischstämmiger Mädchen (auch aus Deutschland) sowie die sogenannten Ehrenmorde, Beschneidungen von Frauen und die weitverbreitete Praxis der Vergeltung durch Blutrache.
Vor allem die an Zahl winzigen christlichen Religionsgemeinschaften befürchten stärker denn je, von der Pro-Türkei-Politik in Europa vergessen zu werden. Die Hoffnungen, dass sich ihre Lage nach jahrzehntelanger Leidenszeit nun endlich verbessern werde, hatten sie noch vor kurzem auf den »Fortschrittsbericht« der EU-Kommission zur Lage in der Türkei gestützt.
Darin freilich heißt es unmissverständlich kritisch:
- Der türkische Staat verwehre jede freie religiöse Betätigung.
- Jederzeit müssten insbesondere christliche Gemeinden sogar darauf gefasst sein, von Staats wegen verboten zu werden.
- Pfarrer im Lande auszubilden sei ihnen gänzlich untersagt.
- Kirchen- bzw. Gemeinde-Grundbesitz könne jederzeit willkürlich vom türkischen Staat beschlagnahmt werden. Ihn zurückzubekommen, sei durch schikanös hohe Hürden so stark erschwert, dass der Weg dorthin fast aussichtlos sei.
- Gleiches gelte für das Ansinnen, Grundbesitz zu erwerben und darüber verfügen zu können, sowie für jedwedes Bemühen, nicht-islamische religiöse Stiftungen in der Türkei zu errichten.
Schließlich heißt es in dem aktu- ellen Türkei-»Fortschrittsbericht«, die Christen im Lande würden großenteils fortwährend von der türkischen Polizei »überwacht«. Seite 2: Leitartikel

Artikel vom 20.12.2004