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Große Staatsreform ist geplatzt

Bund und Länder können sich nicht auf Bildungs-Zuständigkeiten einigen

Berlin (dpa). Die historische Neuordnung des Machtverhältnisses von Bund und Ländern ist nach einem beispiellosen Poker gescheitert. Nach einjährigem Ringen in der Föderalismuskommission erklärten die Vorsitzenden Franz Müntefering (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) am Freitag die Verhandlungen für geplatzt.
Beide gaben jeweils der anderen Seite die Schuld. Der entscheidende Stolperstein war die Bildungspolitik. Stoiber sagte, es sei leider nicht gelungen, im Bereich der Bildung zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Die Länder hätten erhebliche Zugeständnisse gemacht. Sie seien insgesamt bereit gewesen, die Zahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze auf 30 Prozent zu reduzieren. Zudem hätten sie ihre Beteiligung an Defizit-Strafzahlungen an die EU ebenso hingenommen wie erweiterte Zuständigkeiten des Bundeskriminalamts.
»Es ist alles an dem einen Punkt gescheitert«, sagte Stoiber unter Verweis auf die unterschiedlichen Verhandlungspositionen zum Bereich Bildung. Es dürfe aber nicht alles Wichtige für Deutschland in Berlin geregelt werden. »Ich setze jetzt im Besonderen auf den Wettbewerb der Länder untereinander«, sagte Stoiber. Die große Chance für eine Renovierung des Grundgesetzes sei aber auf Jahre vertan.
SPD-Chef Müntefering sagte, die Differenzen in der Bildungspolitik seien unüberbrückbar gewesen. Die Länder hätten verlangt, dass sich der Bund aus dem Bildungsbereich so weit wie möglich zurückziehe, was für den Bund nicht akzeptabel gewesen sei. »Dazu gab es keine Einvernehmlichkeit.« Die Länder hätten zudem die Bildungsfrage mit dem Erfolg der Gesamtreform verbunden.
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) gab der Unions-Seite die Verantwortung: »Der Bund hätte bei Hochschulzulassung und Bildung lediglich ein Mitspracherecht gewollt.« Sein Land sowie die SPD-geführten Länder Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hätten sich damit abfinden können, nicht jedoch die Mehrheit der unionsgeführten Länder.
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) machte den Bund für das Scheitern der Föderalismusreform verantwortlich. »Die Bundesländer haben sich extrem weit und bundesfreundlich eingebracht. Der Bund wollte aber letzten Endes die Eigenstaatlichkeit der Länder und den Föderalismus nicht reformieren, sondern abschaffen«, sagte Wulff. Ein neuer großer Anlauf zu einer Reform sei erst wieder mit einer neuen, CDU-geführten Bundesregierung denkbar.
Auch Berlins Regierender Bürgermister Klaus Wowereit (SPD) sieht die Chance auf eine Staatsreform auf Jahre hin vergeben. Wowereit erklärte: »Das war eine einmalige Chance, die für viele Jahre nicht mehr möglich ist.«
Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) betonte: »Die entscheidende Blockade ist vom Kanzleramt gekommen.«
Vor dem Scheitern der Föderalismus-Reform hatte es in in zahlreichen Punkten bereits Konsens gegeben. Diese Punkte sind nun auch vom Tisch.
So sollte etwa der Anteil der Bundesgesetze, denen der Bundesrat zustimmen muss, deutlich reduziert werden: Von einer Quote von 60 auf etwa 30 Prozent.
Nach den bereits gefundenen Kompromissen war ein Steuertausch geplant: Der Bund sollte die Zuständigkeit und das Aufkommen der Kfz-Steuer erhalten, die Länder die Versicherungsteuer. Auch sollten die Länder die Grunderwerbsteuer allein regeln können. Die Steuerverwaltung sollte gestrafft werden.
Einig waren sich Bund und Länder auch darüber, dass unter anderem Ladenschluss- und Gaststättenrecht, Strafvollzug, Spielhallen und das Versammlungsrecht in Länder-Verantwortung fallen sollten. In Bundeskompetenz sollten unter anderem der Schutz deutschen Kulturguts vor Verkauf ins Ausland, Waffen- und Sprengstoffrecht und die Atomenergie fallen. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 18.12.2004