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586 Ärzte zahlen Strafgeld

Scharfe Verschreibungs-Kontrollen - Vor allem Hausärzte betroffen

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Der Druck auf die Ärzte, Kassenpatienten nur noch das Notwendige an Medizin und Behandlung zukommen zu lassen, hält an. Mediziner, die überdurchschnittlich viel verschreiben, werden mit Regressforderungen von 1000 bis 100 000 Euro bestraft. In Westfalen-Lippe haben 586 Ärzte solche Bescheide erhalten.

Derzeit werden die Strafgelder für das Jahr 2001 eingetrieben. Von den 12 000 Ärzten aller Fachrichtungen in Westfalen-Lippe sind vor allem die 6500 Hausärzte und Internisten betroffen. 2001 kam es zu exakt 1559 Prüfverfahren.
Viele Ärzte kamen nach Durchsicht aller Patientenakten und umfangreichem Schriftverkehr mit dem Schrecken davon. Gut 300 mussten sich einem »Beratungsgespräch« unterziehen.
Diese Entwicklung hält nach Angaben von Andreas Daniel von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe in Münster auch in den Abrechnungsjahren 2002 und 2003 an. Daniel rechnet mit jeweils 800 bis 1000 Fällen von Regressforderungen oder Zwangsberatungen.
Die Regressforderungen betrachtet Daniel angesichts der in Westfalen-Lippe für medizinische Leistungen zu vergebenden Summe von 2 Milliarden Euro als eher gering. Entscheidend sei, den betroffenen Ärzten vor Augen zu führen, dass ihr Verordnungsverhalten falsch sei. Die Prüfverfahren hätten »erzieherischen Wert.«
Vor allem Hausärzte empfinden das Verfahren hingegen als Zwang zur Zwei-Klassen-Medizin. So muss der Paderborner Hausarzt Bernhard Blüher 6000 Euro für das Jahr 2001 zurückzahlen, obwohl erst 2002 die Messzahlen für das Vorjahr festgelegt wurden. Erst im Rückblick weiß der Arzt, warum es zur Strafe kam: »Ich besuche meine alten Leute nach Schlaganfall, bei Hirntrauma und MS noch zu Hause.« Weil er diesen Patienten mehr als andere Ärzte physikalische Therapie, also Massagen oder ambulante Gymnastik verordnete, ist jetzt die Strafzahlung fällig.
Blüher hält es auch für erforderlich, schwangeren Patientinnen weniger Medizin und stattdessen mehr »passive Maßnahmen« zukommen zu lassen. »Dafür werde ich bestraft.« Dass er 2001 im Gegenzug Medikamente im Wert von 80 000 Mark eingespart habe, werde nicht anerkannt.
Die Wirtschaftlichkeitsprüfung von Arztpraxen findet seit 2002 nach Richtgrößen statt. Ärzte, die 15 Prozent mehr verschreiben als die Durchschnittspraxis, bekommen einen Hinweis. Bei Abweichungen von 25 Prozent an werde geprüft. KV-Sprecher Daniel vergleicht das Verfahren mit dem Prinzip der »Rasterfahndung«.
Für Blüher und einer Reihe weiterer vom WESTFALEN-BLATT befragter Ärzte ist die Konsequenz klar: Kassenpatienten bekämen weniger, kein Arzt könne es sich auf Dauer leisten, etwa die Massagen seiner Patienten aus eigener Tasche zu bezahlen.

Artikel vom 20.12.2004