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Feier ohne Bayer

Nur noch ein Nationalspieler und WM-Absage

Von Klaus Lükewille
Leverkusen (WB). Ein Liga-Lieferant ist nicht mehr gefragt. Bayer Leverkusen und der Deutsche Fußball-Bund: Das war vier lange Jahre eine ganz besonders enge Beziehung. Der Werksverein stellte den Trainer und viele Spieler für die deutsche Nationalmannschaft.

Als der Flieger zur Asien-Tournee abhob, saß nur noch ein Leverkusener Spieler in der Maschine. Bernd Schneider, der »letzte Mohikaner« aus dem einst so mächtigen Bayer-Stamm.
Das war vor Monaten anders. Ganz anders. Da hieß der Trainer noch Rudi Völler, da standen immer drei bis vier Leverkusener im Kader. Und bis vor kurzem schien vertraglich gesichert zu sein: Leverkusen wird der Schauplatz, an dem sich die Auswahl während der WM 2006 vorbereitet.
Zu früh gefreut, Bayer. Der neue Mann auf der heißesten deutschen Trainerbank zeigte dem Verein die kalte Schulter. WM-Standort Leverkusen? Das ist dem Weltmann Klinsmann viel zu provinziell. Bestehende Kontrakte interessieren den ehemaligen Angreifer überhaupt nicht. Er ging voll in die Offensive und entschied sich für das vornehme Schloss-Hotel im Berliner Grunewald.
WM-Feier ohne Bayer. Eine bittere Pille. Klinsmann überlässt den DFB-Funktionären jetzt das nicht sonderlich lustige »Nachspiel« gegen die verärgerte Leverkusener Führungsspitze: »Das regeln unsere Herren vom Präsidium.« Zum Ausgleich ist an ein Länderspiel gedacht, außerdem soll es ein paar »Extras« geben.
Dazu zählen allerdings nicht bevorzugte Nominierungen von Werks-Kickern. Vorgänger Völler holte hier gern seine »Hausmacht«, unter der Regie von Klinsmann spielte bisher nur ein Bayer-Profi: Bernd Schneider. Er gilt als gesetzter Kandidat für die WM-Endrunde 2006.
Aber sonst? Der neue Bundestrainer scheint die Leverkusener nicht so besonders zu schätzen. Zu alt. Zu unbeständig. Zu schwach.
Dabei stehen immerhin gleich fünf »Internationale« im Aufgebot, die sich Hoffnungen auf den Sprung in den WM-Kader 2006 machen.
Torwart Hans-Jörg Butt, 3 Länderspiele, überzeugte jetzt in der Champions League mit erstklassigen Leistungen. 2002 war er noch dabei - als WM-Nummer 3.
Jens Nowotny, 45 Länderspiele, nähert sich nach zwei Kreuzbandrissen seiner alten Form, bekam zuletzt gute Kritiken. Aber er hat trotzdem schlechte Karten. Klinsmann setzt gerade in der Abwehr auf die Nachwuchskräfte.
Paul Freier, 17 Länderspiele, versprach sich vom Wechsel von Bochum nach Leverkusen nur Vorteile. Hier verdient er mehr, hier kann er sich sportlich weiter entwickeln. Doch in der Vorrunde hatte Freier zunächst Mühe, bei Bayer Stammspieler zu werden. Für die Nationalmannschaft war er so sowieso kein Thema.
Daniel Bierofka, 3 Länderspiele, und Hanno Balitsch, 1 Länderspiel, sind bei ihrem Verein nur zweite Wahl - und gehören deshalb zurzeit für Klinsmann nicht einmal zur dritten Garnitur.
Carsten Ramelow, 46 Länderspiele, hat längst freiwillig aufgegeben. Schon vor der EM 2004 erklärte er seine DFB-Karriere als beendet. Ihm wird der neue mächtige WM-Mann garantiert nicht mehr nachlaufen.
Bayer für Deutschland. Das war einmal. Als sie ab 2001 Christoph Daum für den Bundestrainerposten vorzeitig freistellen wollten. Als sie ihren Sport-Direktor Rudi Völler gleich mitlieferten, der dann den Job für den ertappten Kokain-Sünder bis 2004 ausübte. Als sie ständig mehrere Spieler im Kader hatten. Und als sie zur Belohnung deutscher WM-Standort werden sollten.
Abhaken. Vorbei. Aber in Leverkusen natürlich noch lange nicht vergessen. »Dankbarkeit darf man im Profi-Geschäft eben nicht erwarten«, sagt ein stark verbitterter Wolfgang Holzhäuser. Und der Bayer-Vorstandsvorsitzende legt nach: »Dass wir über diese Entwicklung nicht glücklich sind, werden sicher auch die hohen Herren in Frankfurt verstehen.«
Doch wie die heute so reden und morgen ganz anders reagieren können, weiß er ja aus Erfahrung: Holzhäuser saß selbst lange Jahre in der DFB-Schaltzentrale.

Artikel vom 20.12.2004