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Drei Monate fern der Heimat Bolivien

Estefanía Taborga Delius zu Gast bei Familie Scheller

Borgholzhausen (Felix). Das Erstaunen, wenn sie ihren Vornamen sagt, kann Estefanía Taborga Delius gar nicht verstehen. Kein Wunder: In Bolivien, dem Land aus dem die 16-Jährige kommt, kennt man ihre »Vornamensschwester, die Freundin von Dieter Bohlen, nicht. Seit drei Monaten lebt die Schülerin aus La Paz bei Familie Scheller in Borgholzhausen, um Land und Leute ihres Großvaters Carlos Delius kennen zu lernen.

Mehr als 16 Flugstunden trennen Estefanía von ihrem Zuhause. Und manchmal hat sie schon Heimweh - nach ihren Eltern, Patricia und Gonzalo, ihren Geschwistern, den 13-jährigen Zwillingen Nicole, und José Ignacio und ihrem Freund. »Aber ich schicke ihnen täglich Mails und sonntags telefonieren wir miteinander«, erzählt sie. Und schließlich sind da ja auch noch ihre Gast-Geschwister, Johanna (16), Bettina (19), Ulrich (21) und Christine (24), die sie, das weiß sie jetzt schon, wenn sie im Januar wieder zurück nach Hause fliegt, besonders vermissen wird. Dabei kam der Kontakt mit Familie Scheller eher zufällig zustande.
Beinahe hätte Estefanía gar nicht an dem dreimonatigen Schüleraustausch der Deutschen Schule in La Paz teilnehmen können. Die strengen Leistungsanforderungen hatte sie zwar erfüllt, aber weil sie ihre Familie auf eigene Faust finden wollte, wäre ihre Reise fast gescheitert. Doch Familie Scheller las die Bewerbung in der Zeitung und reagierte prompt.
Viele ihrer Klassenkameraden sind ebenfalls derzeit in Deutschland - über die ganze Republik verstreut. »Für alle ist die Anwesenheit in der Schule hier Pflicht«, erklärt Gastvater Dr. Hans Scheller. Daher besucht Estefanía mit ihrer Gastschwester Johanna das CJD Gymnasium in Versmold. »Wir haben aber nur Sport, Mathe, Pädagogik und Englisch zusammen«, sagt sie.
Aber das macht nichts, denn auch unter den anderen neuen Mitschülern hat Estefanía schon viele Freunde gefunden. Und die, das freut die begeisterte Fußballerin besonders, zeigten gleich von Anfang an viel Interesse an ihrem Land. Und so erzählt sie gerne von dem Staat, der nach seinem Befreier Simón Bolívar benannt ist, mitten in Südamerika liegt, mit der höchstgelegenen Großstadt der Welt - La Paz (3600 Meter) - und gerade mal einem Zehntel so vielen Einwohnern wie Deutschland.
»Schnee gibt es bei uns nur in den Bergen«, beschreibt die Schülerin in nahezu perfektem Deutsch die ungewohnten Temperaturen hier. Die Sprache lernt sie seit acht Jahren - ein fachübergreifendes Pflichtfach an der Deutschen Schulen. Mit Familie Scheller hat sie Deutschland bereist, war in Hamburg, Heidelberg, Köln, Freiburg und Siegen. »Zu meinem Geburtstag waren wir in Berlin«, berichtet sie. Und als sie ankam, startete gerade das Oktoberfest in München.
Was sie werden will, weiß sie noch nicht: »Vielleicht Ingenieurin, wie meine Eltern«. Auf jeden Fall möchte sie gerne studieren. In Heidelberg? »Die Stadt hat mir unheimlich gut gefallen«. Vielleicht hat sie ja auch den Geschäftssinn der Bielefelder Fabrikantenfamilie ihres Großvaters geerbt, oder die Interessen einer ihrer Tanten - denn Christina Rau ist schließlich mit Johannes Rau, dem Bundespräsidenten ade, verheiratet. Estefanía Taborga Delius: »Persönlich begegnet sind wir uns allerdings noch nie«.

Artikel vom 23.12.2004