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Viel Freude
beim Schenken,
Lesen, Hören

Politiker, Christen, Jojo-Effekte

Von Rolf Dressler
Ob die Verfasser eher an der Oberfläche bleiben oder in die Tiefe gehen und ihren Lesern auf erhellende Weise Hintergründe erschließen: Auch in diesem Bücher-Herbst und -Winter 2004/2005 hält der kaum mehr überschaubare Büchermarkt ein riesiges Füllhorn für das breite Publikum bereit.
Friedrich Merz: Sein Rückzug erregte Aufsehen - und löste Bedauern aus.

Die bei einer großen Mehrheit der heutigen deutschen Politiker beliebteste Bibel-Textstelle findet sich im Brief des Paulus an die Ga- later: »Zur Freiheit hat Euch Chri- stus befreit - so steht nur fest und lasst Euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft aufzwingen«(Galater 5,1). Dies und anderes mehr spiegelt das Buch »Suchet der Stadt Bestes« von Stephan Reimers und Karl Jüsten aus dem Friedrich Wittig-Verlag, Kiel, wider. Darin nennen 56 Volksvertreter jene Bibelverse, denen sie in besonderer Weise zuneigen und von denen sie sich in ihrem Denken und Tun mehr oder minder stark leiten lassen.
Der katholische Bundestagspräsident Wolfgang Thierse schätzt die Bibel ganz besonders in der Übersetzung des Reformators Martin Luther: »Für mich als Germanisten ist die Luthers Sprache das stärkste, anregendste und kraftvollste Deutsch, das es überhaupt gibt.« Ob Edmund Stoiber, Gerhard Schröder oder Wolfgang Thierse und all die anderen: Die Herausgeber der Textsammlung (120 Seiten, 9,90 Euro) möchten auch »ganz normale Bürger« dazu anregen, sich mit der Bibel (wieder) näher zu beschäftigen. Das wünschen sich der protestantische Prälat Stephan Reimers und dessen katholischer Mitherausgeber Karl Jüsten.

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Themenwechsel: Gewissermaßen begleitend zu seinem Rückzug aus der vordersten Linie der profilierten Christdemokraten zeigt der CDU-Politiker Friedrich Merz noch einmal Flagge in seinem Buch »Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion - Kursbestimmung für unsere Zukunft, 223 Seiten, Herder Verlag, Freiburg, 19,90 Euro. Wesentlich Neues allerdings vermittelt diese programmatische Thesensammlung und Zustandsbeschreibung nicht.

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Insbesondere gerade auch dann nicht, wenn man aufschlussreiche Vergleiche zieht beispielsweise mit dem fast zeitgleich veröffentlichten neuesten Buch des vielfachen Bestseller-Autors Roland Baader, eines der brillantesten, klassisch wirtschaftsliberalen Nationalökonomen der Gegenwart: »Geld,Gold und Gottspieler - Am Vorabend der nächsten Weltwirtschaftskrise«, 346 Seiten, erschienen im Resch-Verlag, Gräfelfing, 29,90 Euro. Eine derart schlüssige und zudem glänzend geschriebene Analyse und Zukunftsschau in einem hat absoluten Sonderwert. Roland Baaders Abhandlung sollte jedem Regierungs- und Oppositionspolitiker nicht nur in Berlin Pflichtlektüre sein.

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Als Buchverfasser hat sich wieder einmal auch der amtierende Außenminister des rot-grünen Kabinetts Schröder betätigt. In dem Taschenbuch mit dem beziehungsreichen Titel »Mein langer Lauf zu mir selbst (160 Seiten, 8,90 Euro, erschienen im Knaur Verlag, München) rühmt sich Joseph (Joschka) Fischer nicht nur seiner zeitweiligen Diät- und Lauferfolge. Vielmehr gibt er Auskunft über das »wirkliche Geheimnis« dieser Erfolgsgeschichte, nämlich die »umfassende und zielgerichtete Veränderung meines gesamten Lebensstils, meines gesamten Tagesablaufs, meiner Ernährung, meiner Vorlieben und Gewohnheiten«. Das Abspecken von dem seinerzeitigen stolzen Gesamtgewicht von 112 Kilogramm habe nach vielen voraufgegangenen vergeblichen Versuchen erstmals nicht wieder den »berüchtigten Jo-Jo-Effekt« nach sich gezogen, weil Fischer nach eigenen Angaben einen »ganz neuen Lebensrhythmus gefunden« hat.
Inzwischen allerdings - zu diesem Schluss kam jedenfalls die รก»Frankfurter Allgemeine« - habe auch Joschka Fischer die Erfahrung machen müssen, dass man bei langen Läufen zu sich selbst, und führten sie auch um den Globus, am Ende doch jedes mühsam abgelegte Gramm wieder einsammelt. Sonst wäre man ja nicht man selbst, sondern jemand anderes...

Artikel vom 23.12.2004