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Alter Mann und Mädchen

Neuer Roman von Márquez vermeidet den Tabu-Bruch

Von Bernhard Hertlein
Der Titel ist eine Provokation, das Thema ein Tabu-Bruch. Zehn Jahre nach seinem letzten Roman unterbricht der kolumbianische Schriftsteller und Nobelpreisträger von 1982, Gabriel Garcia Márquez, seine Autobiographie und meldet sich literarisch mit einer »Erinnerung an meine traurigen Huren« zurück.
Nach langer Pause wieder ein Roman von Gabriel Garcia Márquez
Der Ich-Erzähler dieses kleinen Romans behauptet von sich, nie mit einer Frau intim geworden zu sein, ohne dafür zu bezahlen. Das ist, wie sich herausstellt, zwar nicht ganz richtig. Doch es zeigt, welch hohe Mauern der schöngeistige Widerling um sich errichtet hat.
Fast atmet der Leser erleichtert auf, dass es in der neuen Variation von »Der alte Mann und das Mädchen« zum eigentlich Tabu-Bruch denn doch nicht kommt. Die durch ihre Arbeit in der Fabrik erschöpfte und durch die Beruhigungspillen der Bordellbesitzerin in einen tiefen Schlaf versetzte 14-Jährige rührt so an der Seele des Greises, dass er sie körperlich nicht anrührt. Stattdessen liest er ihr beispielsweise aus Saint-Exupérys »Kleinem Prinzen« vor.
Aus dem einmaligen Ereignis wird ein Ritual. Der alte Mann kehrt immer wieder zu dem Mädchen zurück. Mit 90 Jahren ist er das erste Mal wirklich, wenn auch platonisch, verliebt. Zwischendurch quälen ihn Eifersucht und Verzweiflung. Seine Briefe an das Mädchen, die er als Journalist in seiner wöchentlichen Zeitungskolummne aufgreift, werden zum Stadtgespräch, aus dem alle -Êvom Radiosprecher bis zum Bürgermeister -Êzitieren.
Am Ende ist der Ich-Erzähler endlich mit sich im Reinen. Nicht so der Leser. Gabriel Garcia Márquez, selbst nun 77 Jahre alt und unheilbar erkrankt, lässt ihn verstört, ergriffen und ein bisschen ratlos zurück.
Gabriel Garcia Máquez: Erinnerung an meine traurigen Huren, 160 Seiten, Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln, 16,90 Euro.

Artikel vom 18.12.2004