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Die letzte Stele ist jetzt gesetzt

Festakt am Holocaust-Mahnmal - Fertigstellung ist für den Mai geplant

Von Caroline Bock
Berlin (dpa). Das lange umstrittene Holocaust-Mahnmal in Berlin ist nach dreijähriger Bauzeit fast fertig: Bei einem Festakt wurde gestern die letzte der 2711 Betonstelen gesetzt.

Dabei sprachen sich sowohl Architekt Peter Eisenman als auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) gegen ein generelles Demonstrationsverbot rund um das Gelände am Brandenburger Tor aus. Er habe auch keinen Graffiti-Schutz gewollt, sagte Eisenman. »Ich bin gegen Political Correctness jeder Art.« Thierse sagte, er setze auf die Arbeit der Polizei und das Engagement der Bürger.
Es ist der Schlussakt in einer langen Diskussion darüber, wie eine Gedenkstätte aussehen soll, mit der Deutschland im Herzen der Hauptstadt an die Verbrechen der NS-Zeit erinnert. Nun hat das Denkmal für die sechs Millionen ermordeten Juden Europas Form angenommen. Eisenman und Thierse, die sich vor dem Rednerpult wie alte Freunde umarmen, wirken gelöst.
Er fühle sich ein bisschen wie eine Mutter nach der Geburt, sagt Eisenman im Gedränge. Dass das abstrakte Mahnmal aus grauen Betonblöcken nicht jeder mögen wird, ist ihm klar.
»Wenn es jedem gefällt, funktioniert es nicht.« Als Redner verspricht er in Anspielung auf seinen schlagzeilenträchtigen Scherz über Degussa »keine Witze mehr«. Dann halten dutzende Kameras den symbolträchtigen Akt fest: An den vier Seilen eines Baukrans schwebt die etwa zwei Meter hohe Stele über den Boden und landet am Rande des Feldes.
Eisenman und Thierse, der sich mit Baskenmütze und Schal gegen die Kälte schützt, posieren daneben, halten sich am kühlen Stein des Betons fest. 2711 Stelen sind es genau, 95 Zentimeter breit, 2,38 Meter lang und unterschiedlich hoch.
Bis zu 4,70 Meter ragt der Beton in den Himmel, an einigen Stellen bewusst ein wenig schief, so dass sich mancher Kritiker schon seekrank wähnte. Viele werden sich darin einsam und verloren fühlen, vielleicht an die Menschen von Auschwitz denken, wie Eisenman hofft.
Thierse, der auch Präsident der Stiftung für das Denkmal ist, spricht nach dem Festakt von einem »gewissen Gefühl der Erleichterung«. Er findet Eisenmans Mahnmal »im besten Sinne anstößig«. Der Effekt der Beklommenheit, den das etwa 19 000 Quadratmeter große Gelände auslöst, sei gewollt.
Zu der Gedenkstätte gehört auch immer wieder die Sicherheitsdebatte, das wissen alle Beteiligten. Nun geht es einmal mehr um die Furcht vor Neonazis, die symbolträchtig in der Nähe des Mahnmals marschieren könnten. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) plant seit längerem ein neues Versammlungsrecht, das rechtsextremistische Aufzüge an einem Ort wie dem Holocaust-Mahnmal verhindert.
Die Gedenkstätte, die nach der Vollendung des unterirdischen Informationszentrums im Mai 2005 Tag und Nacht geöffnet sein soll, sei ausdrücklich den Risiken ausgesetzt, die in der Gesellschaft vorhanden seien, sagt Thierse.

Artikel vom 16.12.2004