31.12.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Glanzlichter der Kultur

MoMA-Ausstellung elektrisiert Berlin

Nicht nur Bilder im Fernsehen ziehen die Menschen in ihren Bann. Auch die großen Ausstellungen finden ihr Publikum und vermögen es, die Deutschen zu begeistern. MoMA in Berlin und Tutanchamun in Bonn sind der Beweis dafür.


»Sie waren ein fantastisches Publikum«, bedankte sich der Verein der Freunde der Nationalgalerie am 20. September bei sage und schreibe 1,2 Millionen Kunstfreunden. Sie waren seit dem 20. Februar zum Potsdamer Platz nach Berlin gepilgert, um die Ausstellung mit 200 Meisterwerken aus dem Museum of Modern Art (MoMA) in New York zu sehen.
Die Zusammenstellung von Bildern von Cézanne, van Gogh, Picasso, Matisse, Dali, Kandinsky, Beckmann, Hopper oder Pollock stellte das kulturelle Glanzlicht des Jahres dar. An den Eingängen bildeten sich lange Schlangen; um am nächsten Morgen die ersten zu sein, kampierten ganze Gruppen vor der Nationalgalerie. Damit der Besucheransturm auf Impressionismus, klassische Moderne und zeitgenössische Kunst gebändigt werden konnte, wurden die Öffnungszeiten bis 24 Uhr verlängert.
Der Glücksfall für Berlin war einem Notfall in New York zu verdanken. Das Museum für moderne Kunst musste umgebaut werden, was den Weg für den spektakulären Kunst-Export nach Berlin frei machte. Die Spree-Metropole bekam den Zuschlag, weil sie wie New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Umschlagplatz für die Kunst der Klassischen Moderne war und zudem den Gründungsvater des Museum of modern Art, Alfred H. Barr, inspiriert hatte. Nach dem Besuch der Nationalgalerie 1927 war er vom Konzept eines Museums nur für moderne Kunst und von der Bauhaus-Architektur des Mies van der Rohe begeistert. Während New York und sein Museum im Zweiten Weltkrieg vom Bombenhagel verschont blieb, musste Berlin auch kulturell »bluten«. Zerstörung und Diebstahl lichteten den Bestand.
Auch deshalb stieß das Füllhorn der Meisterwerke mit ihren Farben, Figuren und Formen gerade in Berlin auf so viel Begeisterung. Mittlerweile sind die Bilder im neuen Museum of Modern Art. 400 Millionen Dollar flossen in Umbau und Erweiterung des mit 58 500 Quadratmetern riesigen Kunsttempels in Manhattan. 100 000 Gemälde, Skulpturen, Grafiken und Fotos gehören zum Fundus, der genauso wie die Entdeckungen aus dem Tal der Könige in Ägypten zum unverzichtbaren Kulturerbe der Menschheit gehört.
Am 4. November wurde in Bonn der zweite Höhepunkt des Jahres eröffnet. »Tutanchamun: Das Goldene Jenseits« brachte 130 Grabschätze nach 23 Jahren erstmals wieder nach Deutschland. Auch wenn die goldene Maske in Kairo blieb, besitzt die Ausstellung einen unschätzbaren Wert. Einige der 50 Stücke aus der Grabkammer, wie das Diadem, sind zum ersten Mal außerhalb Ägyptens zu sehen. Kanopenbüsten, Statuetten, Särge, Tierfiguren und Zeremoniengegenstände zeugen von den Herrschafts- und Jenseitsvorstellungen der Pharaonen der 18. Dynastie (1550 bis 1292 vor Christus). Die eigens für diese Ausstellung produzierte, farbige Rekonstruktion der Malereien in der Sargkammer Tutanchamuns verdeutlicht, woran die Mächtigen glaubten. 5000 Gegenstände entdeckten Howard Carter und seine Helfer am 4. November 1922 in den vier kleinen Kammern, darunter Boote, Streitwagen, Betten, Schränke und eine Fülle von Zeremonienfiguren. Viele sind mit Blattgold überzogen, denn Gold, »das Fleisch der Götter«, galt als Farbe der unvergänglichen Sonne und als Symbol für die Wiedergeburt im Jenseits.
»Tutanchamun steht immer noch als wichtigster Botschafter im diplomatischen Dienst seines Landes«, betonte Wafaa El Saddik vom Ägyptischen Nationalmuseum. Die Ausstellung bleibt bis zum 1. Mai in der Bundeskunsthalle in Bonn. Vor 23 Jahren strömten 1,3 Millionen Menschen nach Köln, die Schätze entfachten in Deutschland eine wahre Ägyptenhysterie.
Eine andere Hochkultur können Besucher in Völklingen erleben. Das »Inka Gold« heißt die Ausstellung im Weltkulturerbe »Völklinger Hütte«, in der bis zum 3. April 120 Meisterwerke aus dem Larco-Museum Peru zu sehen sind. Nicht um greifbare Dinge geht es im Deutschen Historischen Museum in Berlin. »Mythen der Nationen« präsentiert die spannende Geschichte der Bilder und Vorstellungen, die sich Europa, Amerika und Israel vom Zweiten Weltkrieg und vom Völkermord gemacht haben. Damals wurde der Mythos von der widerständigen Nation geboren. Er besaß so starke Überzeugungskraft, dass ihn große Teile der Bevölkerung übernahmen. Bis zum 27. Februar 2005 spiegeln Photographien, Bücher, Orden, Medaillen und Münzen, Plakate, Postkarten und Souvenirs sowie Gemälde, Skulpturen und 50 Filmausschnitte das Ringen um die Identität wider.
Kunstfreunde wiederum haben noch bis zum 16. Januar des neuen Jahres Gelegenheit, mehr als 100 Meisterwerke im Essener Folkwangmuseum zu bestaunen. »Cézanne: Aufbruch in die Moderne« heißt die sehenswerte Schau.

Ein Beitrag von
Dietmar Kemper

Artikel vom 31.12.2004