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Unausgegorene Reformen nützen Schule nicht

Das Verhältnis von Lehrer- und Schülerzahlen muss dringend verbessert werden


Zum Thema Pisa II:
So tief wie vor drei Jahren dürfte der Schock diesmal nicht sitzen. Dass deutsche Kinder im Vergleich mit anderen schlechter rechnen, lesen und schreiben, wissen wir längst. Wer etwa meinte, dies lasse sich innerhalb weniger Jahre verändern, der muss naiv sein. Dazu mahlen die deutsche Mühlen in Politik und Verwaltung viel zu langsam. Eingeleitete Veränderungen wirken sich naturgemäß erst mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung aus, die Früchte der Bemühungen werden erst in zehn oder 20 Jahren reifen.
Immerhin: Untätigkeit kann man niemandem vorwerfen. Die Kultusminister einigten sich auf gemeinsame Bildungsstandards, milliardenschwere Förderprogramme wurden aufgelegt, gemeinsame »Kernlehrpläne« vereinbart, »Lernstandserhebungen« in NRW durchgeführt, die den Bildungsstandard deutlich erhöhen sollten. Doch so richtig sie im Detail auch sein mögen -Êsie bleiben »Kleckerkram« und packen das Übel nicht an der Wurzel.
Der Erziehungsauftrag der Schulen ist heute sehr weit gefasst. Wenn Kinder individuell gefördert werden sollen, ist diese Förderung abhängig von der Lebenssituation. Die muss man kennen, um auf sie eingehen zu können. Das setzt voraus, dass man mit den Eltern redet und die Kinder gut kennenlernt. Dafür brauche ich Zeit, auch, um Förderstrategien zu entwickeln. Die Alltagsbelastung vollbeschäftigter Lehrer ist aber vielfach zu hoch, um diese Aufgabe ernsthaft zu erfüllen.
Nun versuchen einige Politiker mit der Forderung nach einer Einheitsschule eine ideologische Schulstrukturdiskussion anzuzetteln, die meines Erachtens in eine Sackgasse führt, denn bei der Pisa-Rangliste gibt es eine Reihe von Staaten, die mit integrierten Schulsystemen noch schlechtere Ergebnisse als Deutschland haben.
Unser jetziges Schulsystem funktioniert nicht, weil nicht genug Geld da ist, seine Kapazitäten zu nutzen. Keine Reform dieser Welt wird zu einer Verbesserung der Schulsituation führen, wenn die pädagogische Grundlage nicht gesichert ist mit einem vernünftigen Verhältnis von Lehrer- und Schülerzahlen. Jeder, der irgendwann einmal versucht hat, einer Gruppe von Menschen etwas beizubringen, wird wissen, welch ein Unterschied es ist, ob man 30 bis 35 Schüler oder 15 bis 17 vor sich sitzen hat.
Die bildungspolitische Diskussion ist hierzulande bis zum Anschlag mit Ideologie befrachtet. Solange das bestehende System nicht arbeiten kann, wie es eigentlich sollte, also ohne Unterrichtsausfall, mit kleinen Schülergruppen, Lehrern, denen regelmäßige Fortbildung ermöglicht wird, so lange braucht man sich nicht den Kopf zu zerbrechen über Reformen, die nur halb durchdacht sind und nur zu noch mehr Verunsicherung und noch weniger Effektivität der Systeme führen.
JOSEF SCHRECKENBERG33142 Büren

Artikel vom 20.01.2005