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Schönheits - und Erziehungs-TV

Wo bleiben die
inneren Werte?

Fernsehen bleibt nicht stehen, es entwickelt sich. Doch wohin? Zwei TV-Reihen sind in den Mittelpunkt getreten: TV-Schönheitsoperationen und Erziehungssendungen.


Von »Ekelfernsehen« war in diesem Fernsehjahr zunächst die Rede. Doch nicht das quotenträchtige Geschehen um die RTL-Dschungelshow dominierte die Medien, vielmehr waren es die Shows um Schönheits-Operationen vor der Kamera und die »Erziehungs«-Reihen »Die Super-Nanny« (RTL) und die »Super Mamas« (RTL2).
»Im vergangenen Fernsehjahr ist zwar viel Neues entwickelt und ausgestrahlt worden, aber die meisten Formate waren abgekupfert, schlecht kopiert oder an den Bedürfnissen der Zuschauer vorbeiproduziert«, bilanziert der Leiter des renommierten Grimme-Instituts in Marl, Bernd Gäbler. »In Zukunft sollten die Sender mit mehr Liebe und mehr Geduld auf eigene, hochwertige Produktionen vertrauen.« Dazu gehören sicher keine Sendungen rund um die Schönheits-Operationen wie »Alles ist möglich«, »Beauty Queen« (RTL) und »The Swan -ĂŠEndlich schön!« (ProSieben).
Dass Schönheitsoperationen in der Bevölkerung ein Thema sind, ist bekannt. Fakt ist, in Deutschland werden jedes Jahr etwa 300000 Eingriffe vorgenommen. Trotz dieser Zahl sind Schönheitsoperationen zwar noch nicht zum Standard geworden, dennoch bleibt die Frage, ob die Lebensqualität wirklich durch ein attraktiveres Aussehen gestärkt wird. Bleibt auch die Frage, wo denn bei dieser Betonung von Äußerlichkeiten die inneren Werte bleiben?
Mag der Wunsch, sich beispielsweise die Oberweite »richten« zu lassen, möglicherweise verständlich sein, so ist das zunächst Privatsache. Die dazu notwendige Operation öffentlich im Fernsehen zu zeigen, ist schon etwas anderes. »Ich möchte nicht mehr so maskulin wirken - machen Sie bitte eine Dame aus mir«, lies sich zum Beispiel eine »The Swan«-Kandidatin vernehmen. Kein Problem, wird doch gemacht, wir zeigen es.
Doch in der Vereinfachung liegt das Problem. Hier wird nicht nur Wunschdenken gefördert, sondern auch hervorgerufen. So hat der Präsident der Bundeärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor einem um sich greifenden Schönheitswahn gefordert. Schon jetzt würden zehn Prozent der ästhetisch-plastischen Operationen an unter 20-Jährigen vorgenommen. Insbesondere warnte Hoppe vor einer »skandalösen Verharmlosung« der Risiken von Schönheitsoperationen in Fernsehsendungen. Vor allem, wenn Jugendliche zuschauen, könnte ein völlig verzerrtes Bild von der Wirklichkeit und dem Wert des Lebens entstehen. Über den Erfolg dieser Sendungen entscheiden allerdings die Zuschauer.
Das Spiel mit der Fernbedienung klappt bei den Reality-Reihen »Die Super-Nanny« und »Super Mamas«. Beide erfreuen sich hoher Beliebtheit, weil sie, wie Bernd Gäbler meint, dicht an die Menschen heranrücken und den alltäglichen häuslichen Kleinkrieg mit dem Nachwuchs unter die Lupe nehmen. Doch mittlerweile ist unter Wissenschaftlern und Fachverbänden eine rege Diskussion über den dort vermittelten Erziehungsstil entbrannt. Als erster hatte der Deutsche Kinderschutzbund reagiert und eine eindringliche Warnung ins Internet gestellt: Die Serie propagiere ein autoritäres Modell und lasse jeglichen Respekt vor den Rechten und der Würde von Kindern vermissen.
Die Rezepte der »Super Nanny«, sind äußerst populär. Wo Kinder in der Diskussion vor allem als regel- und Traditionen brechende, agressive und respektlose kleine Tyrannen dargestellt werden, liegt der Wunsch nach Disziplin, festen Regeln und einer Rückbesinnung auf alte Werte nahe. Die Wissenschaftler begrüßen es zwar, dass überhaupt wieder eine öffentliche Diskussion über Erziehungsfragen in Gang gekommen ist. Sie halten es aber für problematisch, wie die Familien und die Kinder dort vorgeführt werden. »Überdramatisiert, reißerisch und nicht angemessen«, bringt es Ulrich Gerth von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung auf den Punkt.

Ein Beitrag von
Rolf-Dieter Bock

Artikel vom 31.12.2004