31.12.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Kirche

»Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?«

»Kirche fit für die Zukunft machen« - das ist das erklärte Ziel der Evangelischen Kirche von Westfalen. Ein Beispiel ist das bundesweit einmalige Service-Telefon der Landeskirche, das in einer zweijährigen Pilotphase seit Oktober 2003 getestet wird.


Ein zweites Beispiel sind die so genannten unbürokratischen Wiedereinstrittsstellen, von denen es bislang 17 in Westfalen-Lippe gibt, weitere sind in Planung.
»Guten Tag, hier das Service-Telefon der evangelischen Kirche. Mein Name ist Andreas Laqueur. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?« Diese Frage stellt Pfarrer Laqueur, der als ausgebildeter PR-Berater auch Initiator des Pilotprojektes ist, gleich mehrmals am Tag. Und meistens hat er Erfolg. So unterschiedlich die Gespräche auch verlaufen, die Angerufenen haben eines gemeinsam: Sie sind aus der evangelischen Kirche ausgetreten.
Pfarrer Laqueur fragt nach, warum. »Die meisten nennen finanzielle Gründe«, weiß Laqueur. Aber bei vielen würden auch persönlicher Ärger oder Enttäuschungen über den Gemeindepfarrer deutlich.
Das jemand wortlos aufgelegt hat, ist dem 50-jährigen Pfarrer bislang ein einziges Mal passiert. Die meisten Menschen freuten sich, weil sie merkten, da interessiert sich jemand für mich, und ließen sich Informationsmaterial zuschicken. Manchmal komme es auch zu einem persönlichen Gespräch. Die Anrufe bei Ausgetretenen sind bislang nur eine Dienstleistung für den Kirchenkreis Bielefeld.
Läuft das Pilotprojekt erst einmal so, wie sich Pfarrer Laqueur es wünscht, dann laufen bei ihm die Drähte heiß. Dann sollen Menschen in seinem Büro im Evangelischen Medienhaus in Bielefeld-Brackwede anrufen, wenn sie Fragen rund um die evangelische Kirche haben. Laqueur will Ansprechpartner und Dienstleister sein - für Kirchenferne ebenso wie für kirchlich Engagierte. Allgemeine Fragen zum Thema Taufe (»Können die Paten auch katholisch sein?«) oder Wiedereintritt (»Wie kann ich in die Kirche aufgenommen werden?«) will er ebenso schnell, kompetent und zuverlässig beantworten wie Fragen nach Informationen anderer Landeskirchen, die vielfach nicht so schnell zu beschaffen sind.
Die Vorteile eines eigenen landeskirchlichen Service-Telefons - ähnlich wie die Telefonseelsorge, nur mit einer völlig anderer Zielgruppe im Blick - liegen für Laqueur auf der Hand: »Wenn wir uns mit evangelischer Kirche melden, muss auch evangelische Kirche dran sein.« Und darüber komme es auch zu einer enormen Entlastung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gemeindebüros, Kreiskirchenämtern und Landeskirchenamt.
Das kirchliche Service-Telefon stecke in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Es sei ein Wunschprojekt der Evangelischen Kirche von Westfalen, sagt ihr Sprecher Andreas Duderstedt. Andreas Laqueur blickt zuversichtlich in die Zukunft. »Irgendwann einmal«, so hofft er, »wird auch unsere Service-Nummer in jedem Gemeindebrief und örtlichen Telefonbuch zu finden sein.« Ein regionales Service-Telefon gibt es seit einem Jahr bereits bei den Vereinigten Kirchenkreisen Dortmund. Die Mitarbeiter wurden von Laqueur geschult.
Dass die westfälische Kirche offensiver auf ihre Mitglieder zugehen muss, um der so genannten Kirchenferne zu begegnen, hat Präses Alfred Buß bereits angekündigt. Die Kirche müsse die Sorgen der Menschen ernst nehmen, die christliche Botschaft zeitgemäß verkünden und als Kirche erkennbar bleiben. Zum kreativen und ansprechenden Angebot gehörten regelmäßig geöffnete Kirchen in der Woche und Gottesdienste auf öffentlichen Plätzen. Auch Orte wie Kino, Theater, Einkaufswelt und Sportplätze sollten stärker genutzt werden. Die Landeskirche will zudem Wiedereinstrittsstellen und die Stadtkirchenarbeit ausbauen.
Die Evangelische Kirche von Westfalen hat trotz sinkender Mitgliederzahlen bereits in den vergangenen Jahren zunehmende Kircheneintritte verzeichnet. Seit zehn Jahren hat sich der Abstand zwischen Ein- und Austritten stetig verringert. Während 1994 noch 20 022 Menschen der Kirche den Rücken kehrten, waren es im vergangenen Jahr 15 861. Demgegenüber traten im Jahr 2003 5456 Menschen in die Kirche ein, 1000 mehr als vor zehn Jahren. 1994 betrug die Zahl der Eintritte 4417. Der Zuwachs wird unter anderem auf immer mehr Wiedereintrittsstellen zurückgeführt.

Ein Beitrag von
Ernst-Wilhelm Pape

Artikel vom 31.12.2004