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Eine Bereicherung des
gängigen Repertoires

»Das größte Kind« von Johann Mattheson

Von Uta Jostwerner
Bielefeld-Kirchdornberg (WB). Für Neuentdeckungen und Ausgrabungen abseits des gängigen Repertoires zeichnet in Bielefeld Hans-Martin Knappe verantwortlich. Alle Jahre wieder trumpft der Peterskirchen-Kantor im vorweihnachtlichen Konzerte-Marathon mit Überraschungs-Jokern auf. Und die musikalische Karte stach auch diesmal wieder.

Die Gemeinde, die am Sonntag in zwei ausverkauften Aufführungen »Das größte Kind« von Johann Mattheson (1681 - 1764) erleben durfte, gehört wohl zu den wenigen, die überhaupt Kenntnis von dem Weihnachtsoratorium haben, das der seinerzeit als Domkantor in Hamburg wirkende Mattheson für den dritten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1720 komponierte.
Mattheson muss ein Multitalent gewesen sein. Er wirkte als Diplomat ebenso wie als Musikkritiker und Opernkomponist. Sein Werk, von der Roten Armee »in Sicherheit gebracht«, galt nach dem Zweiten Weltkrieg als verschollen und fand sich später in einer Bibliothek der armenischen Hauptstadt wieder. Die Rückgabe an die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg hat »die Wege bereitet für eine Neubewertung der künstlerischen Qualitäten von Matthesons Musik«, schreibt Steffen Voss, Fagottist und Mitglied des von Knappe in bewährter Konstellation zusammengestellten Barockorchesters, im Programmvorwort.
Mattheson »outete« sich in »Das größte Kind« als Vertreter des damals umstrittenen theatralischen Kirchenmusikstils. Allein die klangliche Farbpalette mit einem um Naturhörner erweiterten Barock-Instrumentarium ist außergewöhnlich. Hinzu gesellen sich festliche Choralbearbeitungen und Arien nebst Rezitativen, nicht selten dicht miteinander verwoben und stets reich an Figuration und lautmalerischen Elementen -Êman denke nur an die herrliche »Klopf«-Arie der Hirten, mit rhythmisch wie klanglich eindringlich pochendem Orchester. Klangliche Effekte wie etwa das Zittern der Hirten beim Erscheinen der Engel wurden spannungsvoll und mit barockem Affetto stilsicher herausgestellt.
Knappe lenkte mit zügig-tänzelndem Duktus sowie mit Sinn für dramatisch ausgekostete Generalpausen und forderte der sauber einstudierten Kantorei dabei allerlei Klanggeschmeide ab. So souverän und ausdrucksstark in den figurationsreichen Solopartien gefielen zudem Felicitas Jacobsen und Jacqueline Krohme (beide Sopran), Eike Tiedemann (Alt), Christian Finke (Tenor) und Friedrich W. Möller (Bass). Da darf man uneingeschränkt von einer Bereicherung im vorweihnachtlichen Einstimmungs-Klingklang sprechen.

Artikel vom 14.12.2004