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Leitartikel
Vage Werte

Vaterland wieder verweht?


Von Jürgen Liminski
Wo ist das Vaterland abgeblieben? Die Patriotismus-Debatte, die die Union mit großem Getöse auf ihrem Parteitag gestartet hatte, ist schon ein paar Tage später von den Wanderdünen des Alltags verweht.
Es war wohl doch nur eine kleine Oase auf der langen Wüstenwanderung der Opposition. Die könnte übrigens noch länger dauern, wenn die Unionsspitze sich weiter um die wirklichen Themen drückt. Die betreffen nämlich nicht das diffuse Gefühl einer Vaterlandsliebe, sondern die harten Reformnotwendigkeiten. Es war einfach zu leicht zu durchschauen, dass mit der Patriotismus-Debatte der magere Kompromiss der Gesundheitsreform und auch die anderen Reformbaustellen (Steuern, Rente, Pflege, Familie) verschleiert werden sollten.
Aber das Ablenkungsmanöver führte nicht nur weiter in die Wüste hinein, es ist auch für Deutschland selbst ein Ärgernis. Denn es entwertet die eigentliche Werte-Debatte. Die hat zu tun mit der Identität der Deutschen und Europäer gegenüber anderen Zivilisationen. Statt vage von einer heilen Welt namens Deutschland zu schwadronieren, sollte man die Grundlagen dieser Identität in Erinnerung rufen. Aber für ein klares Bekenntnis zum Christentum oder auch zur Familie fehlen der CDU-Spitze entweder der Mut oder die Personen, die das glaubwürdig verkörpern. So blieb alles nur Schall und Rauch.
Immerhin, das Licht der Hoffnung geht nicht aus. Dafür sorgt nicht ein Energie-Unternehmen, das diverse Politiker schmiert, sondern das im Kern immer noch gesunde Empfinden im Volk. Apropos: Warum regt man sich über die Politiker, aber nicht über das schmierende Unternehmen auf? Ist es schon so selbstverständlich geworden, dass Großunternehmen korrupt sind?
Die große Mehrheit will zum Beispiel den Türkei-Beitritt nicht. Jetzt müsste man dieses Empfinden mit klaren Argumenten untermauern. Dazu gehört, wo nötig, natürlich auch der Mut zur Abgrenzung. Christen sind nun einmal nicht Muslime. Zwar kann man Gemeinsamkeiten betonen, aber nur wenn die Unterschiede verwässert werden, ist letztlich nicht mehr einzusehen, warum man die Türkei nicht aufnehmen sollte.
Für diese Identitätsdebatte wäre das Stichwort Patriotismus ein vernünftiger Ansatz. So wie es aussieht, scheint die CDU-Parteispitze über den Ansatz jedoch nicht hinaus zu denken. Dabei ist für das weitgehend orientierungslos gewordene deutsche Volk kaum etwas dringlicher als eine Wertedebatte, weil diese auch das Fundament für ein durchgängiges Reformkonzept böte. Das fehlt der CDU/CSU leider.
Der britische Denker Edmund Burke hat die Nation einst als Gemeinschaft der Vergangenen, Gegenwärtigen und der Zukünftigen bezeichnet. Die Patriotismusdebatte der Union bietet bisher den Blick auf die Gegenwärtigen. Das ist für eine Partei, die die Zukunft des Landes gestalten will, zu wenig. Erst recht, wenn die rot-grüne Regierung nicht mehr zu bieten hat.

Artikel vom 15.12.2004