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»Schule hat einfühlsam
und kompetent reagiert«

Therapeuten fordern Konzepte zur Krisenbewältigung

Von Annemargret Ohlig
Bielefeld-Senne (WB). Es ist der - in diesem Zusammenhang - zunächst irritierende Begriff »normal«, der immer wieder im Gespräch mit Frank Wahlschmidt und Thomas Wunram über ein ganz und gar anormales, extremes Ereignis fällt: der schreckliche Unfall vor zwei Wochen auf dem Brackweder Südring. Dabei starben zwei Schüler der Hauptschule Senne und ein Mitschüler wurde lebensgefährlich verletzt.

»Es muss jetzt genau beobachtet werden, ob gesunde Trauerreaktionen dieses Ereignis begleiteten, die Belastungen normal abgearbeitet werden und die Betroffenen nicht stecken bleiben«, erklärt Frank Wahlschmidt. Und damit diese Entwicklung »normal« geschehen kann, bieten der katholischer Priester und Ordensmann Thomas Wunram sowie Wahlschmidt, Pastor einer Freikirche, Leitung und Lehrern der Hauptschule - bei Bedarf aber auch allen anderen Betroffenen - ihre umfassende Unterstützung an.
Bis mindestens zum Februar nächsten Jahres stehen die beiden Männer in der Senner Hauptschule für Einzel- oder auch Gruppengespräche zur Verfügung. Nicht nur als Seelsorger, sondern auch als Experten. Denn Wunram und Wahlschmidt gehören einem Zusammenschluss von Fachleuten der Malteser für psychosoziale Unterstützung in Krisen- und besonderen Stress-Situationen an. Wunram hat eine Ausbildung als Familientherapeut und arbeitet im Bereich Krisenintervention. Wahlschmidt ist Psychotherapeut und widmet sich hauptsächlich der Trauma-Therapie.
Speziell für die Hauptschule Senne haben sie gemeinsam mit Schulleiter Hartmut Bondzio und seinem Stellvertreter Arnold Stiegert jetzt einen dynamischen Maßnahmenplan zur Stärkung der Bewältigungsfähigkeit der Betroffenen entwickelt.
Ziel ist es, die Katastrophe, die sich als ein Chaos im bisher so sicheren und gesunden System Schule darstellt, zu bewältigen. Durch die Fachberatung sollen Schulleitung und Lehrer jetzt so stark gemacht werden, dass diese mögliche Veränderungen bei den Schülern als Folge des Unfallgeschehen erkennen. Auch den Eltern werden Gesprächsabende angeboten.
»Trauer ist eigentlich etwas Normales, und Menschen können durch ihre Selbstheilungskräfte grundsätzlich solche Ereignisse bewältigen«, betont Thomas Wunram. Und Trauma-Therapeut Wahlschmidt ergänzt: »Wir helfen den Menschen mit unserer ehrenamtlichen Krisenarbeit, anormale Ereignisse so an ihren Platz zu stellen, dass sie das Leben nicht behindern.«
Dass dieses gelingen wird, halten die beiden Malteser-Mitarbeiter für sehr wahrscheinlich. »Denn so wie an dieser Schule reagiert wurde, war das höchst einfühlsam und außerordentlich kompetent. Schulleitung und Lehrer haben instinktiv alles richtig gemacht.«
Zudem waren die Notfallseelsorge mit den drei Pfarrern Volker Steffen, Frank Schneider und Richard Hesse sowie die Schulpsychologin Dr. Karin Duden und Frau Dr. Bründel aus Gütersloh umgehend vor Ort in der Schule. »Ihren Maßnahmen sind äußerst hilfreich gewesen. Auf diese konnten wir dann unsere Unterstützung aufbauen«, lobt Frank Wahlschmidt Schulleitung und alle Ersthelfer.
Was sich die beiden Malteser darüber hinaus wünschen: Alle Schulen müssten Konzepte zur Bewältigung von Katastrophen vorhalten - wie es in den USA bereits seit langem üblich ist. Zudem sei es häufig nicht das große, sondern das kleine Chaos, das auf das System einwirke und die Menschen betroffen mache.

Artikel vom 15.12.2004