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Mit klavieristischer Raffinesse

Kevin Kenner bezauberte bei Chopin-Klaviermatinee in der Oetkerhalle


Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Kevin Kenner ist was für Kenner. Dass der Pianist 1990 den renommierten Chopin-Wettbewerb gewann, rückte ihn nur kurzzeitig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Wer hingegen diesen charismatischen Klavierspieler einmal erlebt hat., wird ihn so schnell nicht wieder vergessen. Der neuen Kammerkonzertreihe der Konzertagentur Müller bescherte der gebürtige Amerikaner gestern Mittag im Kleinen Oetkerhalle-Saal einen fulminanten Auftakt.
Eine komplette Klavier-Matinee nur mit Werken von Frédéric Chopin zu bestücken, birgt die Gefahr manischer Einseitigkeit in sich. Nicht so bei Kenner, der dem Meister des klavieristischen Belcanto stets neu aufflammende Energie und aufflackernde Leidenschaft abzugewinnen versteht -Êbei betörend manuellem Raffinement.
Weich und schmeichelnd entfaltet Kenner in agogisch weit dimensionierten Kantilenen etwa das Des-Dur-Nocturne aus op. 27. Bereits hier lässt die Intimität auf der einen (zartes Legathospiel), und Offenheit auf der anderen Seite (klar formulierte Melodieführung der rechten Hand) aufmerken.
Ja, das ist jemand am Werke, der sich versenken kann, der Empfindsamkeit und Musikalität besitzt, gleichzeitig aber auch klar strukturiert und formuliert. Und jemand, der technisch mit geradezu übermenschlichen Fähigkeiten gesegnet ist. Wenn Kenner seine kristallklaren Läufe und Triller über die Tastatur schickt und dabei noch ungeahnte Anschlags-nuancen hervorzaubert, kann man nur noch staunen. Doch dabei bleibt es nicht. Der Pianist gestaltet, er seziert und dringt in emotionale Tiefen ein, ohne in Tränen zu versinken oder den donnernden Tastenlöwen zu geben.
Im differenzierten Erzählgestus fächert er die vier Balladen in ihrer ganzen Komplexität auf, versteht es, kunstvolle Spannungsbögen zu führen, zu phrasieren und zu präludieren, dynamische Gipfel zu stürmen und rhythmisch wirkungsvoll zu akzentuieren. Stets ist bei Kenner der Wille zu einer ausgeprägten agogischen und dynamischen Gestaltung zu erkennen. Daneben besitzt sein Spiel mal musikalischen Witz und Impulsivität, mal Filigranität oder Raffinesse wie in den vier Mazurken op. 17.
Kenner setzt weniger auf vornehm zurückhaltende Virtuosität und Klangschönheit als vielmehr auf Verve, Entschlossenheit und Empfindungsreichtum. Das macht seine Chopin-Interpretationen so aufregend schön.

Artikel vom 13.12.2004