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Mehr Frieden, weniger Krieg

Afrika kommt - ein Kontinent holt leise auf

Afrikas Bild hängt schief. Leider zutreffende Meldungen von Krieg und Elend überdecken kleine Erfolge und große Anstrengungen. Die wenigsten wüssten von der stillen Erholung, wenn Nelson Mandela nicht wäre. Der Friedensnobelpreisträger und auch Bundespräsident Horst Köhler werden nicht müde, unseren Blick dafür zu schärfen: Frieden, Entwicklung und stetiges Vorankommen prägen die Lage in vielen der 53 Staaten auf dem schwarzen Kontinent.

Bundespräsident Horst Köhler, häufiger Gast in Afrika, probiert Kaffeebohnen.

Mandela und Wangari Maathai, die zwei Friedensnobelpreisträger, rütteln die Welt auf. Sie zeigen, dass der Völkermord im Sudan nicht allein für die Realität steht. Fast schon südeuropäische Verhältnisse von Marokko bis Ägypten sowie am Kap, Naturschönheiten und Bodenschätze, Milliardeneinnahmen aus dem Tourismus und immer mehr Industrie mit allen seinen Schattenseiten. Afrika heute ist anders, als Vorurteile unterstellen.
Köhler sieht die Ursachen für viele Probleme im Übrigen auf Seiten der reichen Länder. »Afrikas Anteil am Welthandel auch mit verarbeiteten Produkten muss zunehmen«. Der notwendige Spielraum in den Verhandlungen mit der Welthandelsorganisation nimmt seit Jahren zu. Europäer wie Amerikaner können die Entwicklung kaum mehr aufhalten. Köhler: »Uns steht beim Aufräumen von Doppelstandards noch einiges bevor.«
Internationale Vereinbarungen zeigen erste Wirkung - etwa die bis 2015 geplante Halbierung jener gigantischen Zahl von 1,2 Milliarden. So viele Menschen leben noch ohne Zugang zu sauberem Wasser. Der Nachhaltigkeitsgipfel 2002 in Johannesburg, der dieses hohe Ziel verbindlich festgeschrieben hat, ist eines von inzwischen vielen positiven Beispielen für globale Initiativen.
Ob Afrika am Ende sein eigener Befreier ist, bleibt abzuwarten, aber stille Hoffnung ist erlaubt. Armut- und Gesundheitsprobleme scheinen aus der Fernsicht unlösbar. Wer dagegen, wie Köhler bei vielen Afrika-Reisen, auch schon als IWF-Chef, genauer hinsieht, schöpft Zuversicht. Allein der Aufschwung im Muster- und Ankerland Südafrika könnte bis zur Fußballweltmeisterschaft 2010 anhalten. Jährliches Wachstum von vier plus x Prozent gilt als sicher.
Das ist nicht überall so. »Hier teilen die Ärmsten mit den noch Ärmeren«, rückte etwa Wolfgang Niedecken von BAP für »Gemeinsam für Afrika« bei einem Besuch in Sierra Leone die Maßstäbe zurecht. Das Land erregte weltweite Aufmerksamkeit durch einen blutigen Bürgerkrieg, Flucht und Vertreibung Tausender. Inzwischen ist Sierra Leone selbst Zufluchtsland. Immer noch leben 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag. Die Lebenserwartung beträgt 35 Jahre.
Vor dem Handel steht der Frieden und der hat 2004 auf dem schwarzen Kontinent still und beharrlich, allen Husarenmeldungen zum Trotz, zugenommen: Unter der Führung Algeriens wurde der Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea beigelegt. In den Kriegen im Kongo und in Burundi ruhten aufgrund afrikanischer Initiativen leider nur zeitweise die Waffen. Kenia spielt eine Schlüsselrolle beim Versuch, den bald 22 Jahre währenden Krieg im Sudan endgültig zu beenden.
Keine heile Welt, kein umfassender Friede, aber: Auch die Unruhen in Algerien und Uganda neigen sich dem Ende zu. Afrikanische Regierungschefs glauben, selbst an der Elfenbeinküste bald Stabilität erreichen zu können.
Es gibt die Chance für ein neues Afrika, das mit den Zielen der Afrikanischen Union und dem Programm der Neuen Partnerschaft für die Entwicklung im Einklang steht. Die wenigsten wissen, dass es längst eine Afrikanische Kommission ähnlich der Europäischen Kommission gibt. Um Gemeinsames ringen auch das Panafrikanische Parlament, ein Friedens- und Sicherheitsrat, Straf- und Menschenrechtsgerichte, ein Wirtschafts-, Sozial- und Kulturrat.
Das große Ziel der Industrieländer, 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklung auszugeben, ist immer noch ein leeres Versprechen. Auch kommt man der Quote nur schrittweise und langfristig näher. Die Entwicklungspolitik habe sich zu sehr auf das Verteilen von Geld für Projekte konzentriert, sagt Köhler. Herausgekommen sei dabei, dass sich afrikanische Staaten - gewollt oder ungewollt - zu sehr von der Entwicklungsunterstützung abhängig machten. Allein privatwirtschaftliche Strukturen und die Vergabe von Kleinkrediten helfen da weiter.
Schon ein Blick auf die Landkarte macht laut Köhler Deutschlands besondere Verantwortung für Afrika deutlich. »Europa sitzt doch bildlich gesprochen auf Afrika, getrennt nur durch dieses kleine Mittelmeer.« Zudem gebe es nun einmal die Geschichte des Kolonialismus, der genau so Schaden angerichtet hat wie der Ost-West-Konflikt. Deshalb müssten sich jeder Einzelne und die internationale Gemeinschaft insgesamt zuständig fühlen.

Ein Beitrag von
Reinhard Brockmann

Artikel vom 31.12.2004