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Bundeswehr

Der Umbau der Streitkräfte
ist noch längst nicht am Ende

In dem vor uns liegenden Jahr feiert die Bundeswehr ein Jubiläum. Vor 50 Jahren, am 12. November 1955, erhielten die ersten 101 Freiwilligen ihre Ernennungsurkunde. Doch zum Feiern bleibt den Streitkräften nicht viel Zeit, und vielen ist auch nicht zum Feiern zumute.


Schon vor knapp zwei Monaten ging ein großes Wehklagen durch das Land. Der Grund: Bundesverteidigungsminister Peter Struck verkündete das neue Stationierungskonzept, das die Auflösung von 105 Standorten bis zum Jahr 2010 vorsieht. Das war keine überraschende Entscheidung, sondern nur die konsequente Umsetzung der verteidigungspolitischen Richtlinien, die der SPD-Minister schon im Mai 2003 erlassen hatte. Strucks Vorgaben sind klar: Die Bundeswehr wird ohne Wenn und Aber auf ihre neuen Aufgaben ausgerichtet, und die liegen ganz vornehmlich im Ausland und nicht bei der Landesverteidigung. Bei multinationalen Einsätzen von NATO, EU und UNO. Bei der Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Terrorismusbekämpfung.
Umgeben ausschließlich von Freunden und Verbündeten, ist ein Angriff auf Deutschland mit konventionellen Streitkräften auf absehbare Zeit eher unwahrscheinlich geworden. »Wenn die Bedrohung weniger Panzer erfordert, brauchen wir auch nicht mehr soviele Panzerbataillone«, macht Struck die Notwendigkeit seiner Entscheidungen deutlich. Zu dieser »Transformation« der Bundeswehr von einer Abschreckungsarmee zur Einsatzarmee, wie der Prozess von den Verantwortlichen genannt wird, gibt es keine Alternative.
Das wird im Grundsatz auch von Union und FDP anerkannt. Doch die Opposition warnt völlig zu Recht davor, weitere Kürzungen im Verteidigungsetat vorzunehmen. Schon im Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr ist die Belastung überproportional hoch. Weitere Einsparungen bedeuteten das Ende der Reformpläne, fordert nicht nur der Mindener FDP-Wehrexperte Günther Nolting den Bundeskanzler auf, Finanzminister Hans Eichel zurück zu pfeifen. »Sonst geht die Transformation der Bundeswehr zusammen mit dem Verteidigungsminister den ÝBach runterÜ«.
Weniger Soldaten, weniger Standorte. Eine einfache wie plausible Rechnung Strucks. Die Reduzierung der Truppe von derzeit noch 285 000 auf 250 000 Soldaten bedeutet eben auch die Schließung von Kasernen. Der Aufschrei, der im November von Nord nach Süd, von West nach Ost durchs Land ging, war verständlich, auch wenn jetzt mancher mit an der Klagemauer steht, der früher nicht weit genug auf Distanz zu unseren Soldaten gehen konnte. Ohne Zweifel: Viele Regionen wird es hart treffen, gehört die Bundeswehr doch überall dort, wo sie präsent ist, zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren.
Kasernenschließungen hat es auch in der Vergangenheit gegeben. Doch ist dabei immer auch auf die Belange betroffener Regionen Rücksicht genommen worden. Ausschlaggebende Kriterien für Strucks Entscheidungen waren diesmal allein militärische Notwendigkeiten und betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte. Der Minister: »Die Bundeswehr braucht zukunftsfähige Standorte.« Der Region Ostwestfalen-Lippe soll es recht sein. Sie ist zwar auch von Strucks Entscheidungen betroffen, doch erfahren die Standorte Augustdorf, Höxter und auch Minden eine erhebliche Aufwertung in dem neuen Konzept. Für viele andere Kommunen und Regionen beginnt dagegen die schmerzliche Anpassung in diesem Jahr so richtig. Bis zum Jahr 2010 sollen dann alle 105 betroffenen Standorte geschlossen sein.
»Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben«, hat der Inspekteur des Heeeres, Generalleutnant Hans-Otto Budde, schon einmal deutlich gemacht, wohin die Reise geht. Er weiß, dass es nach den vielen Umstrukturierungen der Vergangenheit nicht einfach sein wird, die Menschen noch einmal mitzunehmen. Doch er hofft dabei auf die Unterstützung der Gesellschaft: »Mit ihrer Hilfe werden wir es schaffen.«
Mit dem jetzigen Reformkonzept ist für viele Politiker der Umbau der Bundeswehr aber noch nicht am Ende. Sie sehen in dem Konzept auch einen ersten Schritt auf dem Weg in eine Freiwilligen-Armee. Struck lehnt die Abschaffung der Wehrpflicht ebenso wie viele seiner Generäle weiterhin entschieden ab. Im Gegensatz zu den Grünen und der FDP, aber auch Teilen der SPD. Und selbst in der Bevölkerung hat der Rückhalt nach der jüngsten Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen kräftig nachgelassen: Nur noch 36 Prozent wollen die Wehrpflicht erhalten.
Eines ist sicher: Vor der Wehrpflicht liegt das schwerste Jahr, seit im Jahre 1957 die ersten Wehrpflichtigen eingezogen worden sind. Die Gründe pro und contra Wehrpflicht sind in den vergangenen Jahren häufig ausgetauscht worden. Fehlende Wehrgerechtigkeit, wie von den Gegnern als häufigstes Argument immer wieder angeführt wird, ist die eine Sache, auch wenn sich dieses Problem in Zukunft etwas entspannen wird. Doch wiegen nicht gerade angesichts der neuen Aufgaben der Streitkräfte die guten Erfahrungen, die die Bundeswehr seit fast 50 Jahren damit gemacht hat, in der Gesellschaft verankert zu sein, besonders schwer? Wir erkaufen uns mit einer Berufsarmee mal eben die Sicherheit, und haben sonst damit nichts mehr zu tun. Das kann es doch nicht wirklich sein.
Die Wehrpflichtgegner haben zwar recht: Landesverteidigung hat nicht mehr oberste Priorität. Hier sei aber noch einmal Generalleutnant Budde zitiert: »Erst die Wehrpflichtigen bei den Unterstützungskräften in der Heimat ermöglichen doch die Auslandseinsätze. Wir brauchen sie.«
Am Jahresende will ein Parteitag der SPD über die Wehrpflicht abstimmen. Ergebnis: ungewiss. Ebenso ungewiss ist es, ob die Wehrpflicht 2007 ihr Jubiläum überhaupt noch feiern kann.

Ein Beitrag von
Dirk Schröder

Artikel vom 31.12.2004