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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Die Sendung »Hart, aber fair - das Reizthema« im WDR 3 stand am 1. Dezember dieses Jahres unter der Überschrift: »Wieviel Gewissen verträgt die Politik?« Wie immer hatte Frank Plasberg dazu eine Reihe interessanter Gesprächsteilnehmer unterschiedlicher Couleur eingeladen.
Sie hatten Zeit, sich anderthalb Stunden lang, also in Ruhe, Gedanken zu dieser Frage zu machen und ihre Ansichten vorzutragen. Irgendwann in der Diskussion bekannte Plasberg selbst: »Ich bin evangelischer Christ.« Das kam ganz spontan. Niemand hatte ihn dazu aufgefordert, er sagte es von sich aus. Ein selten gehörter Satz war das, zumal in den Medien, in denen eher ausgeklammert wird, woran jemand glaubt.
Menschen, die nicht schon von vornherein durch ihre Herkunft und Stellung eindeutig in dieser Hinsicht eindeutig festgelegt sind - Theologen, Kirchenleute, Mönche oder Nonnen - werden in aller Regel dazu nicht befragt. Um religiöse Auffassungen und Bindungen macht man lieber einen großer Bogen, selbst dann, wenn sehr persönliche Dinge zur Sprache kommen. Es scheint leichter zu sein, sich über den eigenen Intimbereich in aller Öffentlichkeit ausfragen zu lassen, als sich über seinen Glauben äußern zu müssen.
Auch die meisten Politiker halten sich, was das anbelangt, lieber bedeckt. Gelegentlich ist aus ihrem Munde zwar etwas von Werten und ethischen Prinzipien zu hören, an deren Zustandekommen die Bibel nicht ganz unbeteiligt ist. Aber selbst das wird oft genug nur in sehr allgemeiner Form ausgesprochen, halbherzig eingestanden und manchmal auch sofort wieder durch andere Aussagen relativiert.
In zunehmenden Maße verzichten Minister bei ihrer Vereidigung auf die religiöse Formel »so wahr mir Gott helfe«. Das muß nicht unbedingt eine antichristliche Demonstration sein. Aber es soll offenbleiben und in der Schwebe gehalten werden, wo jemand steht und wie seine innere Bindung aussieht. Es gilt als reine Privatsache, die niemanden sonst etwas angeht.
Das ist nicht überall so. In Amerika ist es durchaus üblich, daß sich Männer und Frauen in hohen Staatsämtern - und das gilt nicht nur für den derzeit amtierenden Präsidenten der USA - offen als Christen zu erkennen geben und ihre Reden etwa mit dem Wunsch beenden: »God bless America.« Auch Muslime, die in Europa leben, lassen andere ohne Scheu wissen, daß sie treue Anhänger des Islam sind. Sie sind sogar stolz darauf und kämen gar nicht erst auf die Idee, dies zu verheimlichen.
Warum ist das bei uns soviel anders? Ist der christliche Glaube es etwa nicht wert, in Ehren gehalten zu werden? Muß man ihn schamhaft verstecken und sich vielleicht sogar dafür noch entschuldigen, ein Christ zu sein?
Manchmal sieht es so aus. Selbst Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat kürzlich in einem ansonsten sehr mutigen Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt über die Frage »Wieviel Anatolien verträgt Europa?« die einseitige Meinung vertreten, das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft liege »an der Feindlichkeit, mit der alle christlichen Kirchen über Jahrhunderte die Europäer gegenüber anderen Religionen erzogen haben, insbesondere gegenüber dem Judentum und dem Islam«.
Müßte nicht um der Gerechtigkeit willen zumindest hinzugefügt werden, daß der Islam sich bereits seit seinen Anfängen und weit bis in die Neuzeit hinein mit Waffengewalt ausgebreitet hat? Damit braucht nicht verharmlost und beschönigt zu werden, daß es auch in der Kirchengeschichte dunkle Flecken gibt. Aber die Christenheit fand auch die Kraft, diese als solche zu benennen, sich auf seine Grundlage, auf das Evangelium von Jesus Christus, zu besinnen und sich daraus zu erneuern.
Seine Predigt vom Reich Gottes hat niemals einen christlichen Gottesstaat gemeint, sondern bezeugt, daß Gottes Liebe allen Menschen gilt. Daraus folgt Frieden und Gerechtigkeit. Die Bibel und insbesondere das Neue Testament ist das entscheidende Fundament unserer westlichen Kultur und Zivilisation.
Darauf leben auch die, die das nicht mehr wissen oder nicht wahrhaben wollen.

Artikel vom 11.12.2004