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Die Lesung wurde zur Inszenierung

Autor Benjamin von Stuckrad-Barre im Ringlokschuppen zu Gast


Von Kathrin Heine
Bielefeld (WB). Wo ist der Designer-Anzug? Bei seiner Lesung im Ringlokschuppen trägt Benjamin Stuckrad-Barres nicht wie früher Armani, sondern Sweatshirt mit Cordhose. Sein Publikum ist mit ihm älter geworden. Doch auch Schüler sind da. Eine Schulklasse aus Bad Oeynhausen zum Beispiel, die der Autor - so nimmt er sich vor - nach der Lesung zur Pisa-Studie befragen will. Mit Computerbildschirm vor sich und Videoleinwand hinter sich sitzt er auf der Bühne, und jeder merkt es: Eine normale Lesung wird das nicht.
Früher wollte er Rockstar sein, aber ein schreibender. Das ist dem 29-Jährigen nach seinem ersten Roman »Soloalbum« 1998 eine Zeit lang gelungen. Aber wie bei vielen Rockstars sind ihm die Drogen zum Verhängnis geworden. Der autobiografische Text, den von Stuckrad-Barre über seine Ess-Störung und den exzessiven Drogenmissbrauch liest, hebt sich von den anderen ab. Obwohl er auch diesmal beobachtet und beschreibt. Das kann der gebürtige Bremer, der jetzt in der Schweiz lebt, am besten und beweist es auch in »Remix 2«, seinem aktuellen Buch. Aber diesmal beobachtet er auch sich selbst. Er wollte schreiben über jemanden, dem es ganz schlecht geht, und dieser Jemand wollte er selbst sein. »Mein Leben war ein Buch geworden, ohne dass ich bemerkte, dass so beides nichts werden konnte - weder das Leben noch der Roman«, liest er.
Mit viel Musik und einer Power-Point-Presentation wird Benjamin von Stuckrad-Barres Lesung zur Inszenierung und der Autor zum Schauspieler. Er liebt es, selbst in die Figuren aus seinen Geschichten zu schlüpfen. Am liebsten sucht er sich die Verlierer aus. Die Lacher hat er dabei auf seiner Seite.
Passende Musikstücke donnern zwischen den Stücken aus den Boxen. »Je tÕaime« zum Beispiel und der Autor zieht aus, Kurt und Paola FelixÔ Liebe zu entlarven. »Das sind Außerirdische«, klagt er in seiner Reportage, für die er das Paar auf eine Geschäftsreise begleitet hat. Nur um dabei herauszufinden, dass es keine Kratzer in der Musterehe gibt. Detailliert beschreibt er einen »anekdotierenden« Kurt Felix und dessen Frau, die alles an Kurt liebt, nur stört sie nach eigenen Angaben, »dass er die Schnürsenkel nicht immer sofort in das Innere seiner Schuhe versenkt, nachdem er sie auszieht.« Was bleibt da zu sagen? »Ich will auch so leben«, wünscht sich der Autor. Das glaubt ihm keiner, aber man weiß es nicht. Obwohl er in seinen Stücken und bei der Lesung viel von sich erzählt, bleibt seine Person im Dunkeln. Nur bei der ersten Geschichte blitzt sie hervor.
Von Stuckrad-Barres Stärke liegt darin, genau zu beobachten und die richtigen Worte zu finden. Das gilt für Themen wie das »Vollmöbeln« von Wohnungen genauso wie für Besuche in Chat-Räumen des Internets. Auch Erfahrungen mit Ess-Störung und Drogenexzessen teilt er wohl mit einigen Besuchern der Lesung. Aber hinter seinem Lesetisch wirkt er doch allein.

Artikel vom 09.12.2004