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Nur beruhigt? Glücklich müsstest du sein. Habe ich dich nicht glücklich gemacht?«
Delia umschlang ihn: »Ich bin es, ich bin es É! Aber wer war sie?«
»Die hinreißendste Frau, die ihm je begegnet ist! Die fast sein Leben verändert hätte.« Er umschlang sie, und sie küssten sich heftig.
Nach einer Weile der Liebkosungen fragte sie: »Etwas zu trinken?«
»Gute Idee. Ich hol den Champagner.«
Delia leerte ihr Glas in wenigen Zügen. Wohlig entspannt lehnte sie sich in das Polsterkissen zurück und blickte Duncan aufmerksam an: »Erzähl mir etwas von dir, mein heißblütiger Liebhaber!« Und mit einem zunehmend herausfordernden Unterton setzte sie dazu: »Ich weiß noch so wenig von dir. Was für ein Mann ist mein Duncan Munro, der so interessant über Venusbilder spricht? Welche Gefühle und Leidenschaften hat ein Schotte aus dem hohen Norden?« Sie blinzelte ihn von der Seite an.
Duncan spürte ihre Herausforderung, antwortete aber nicht, sondern fuhr mit seinen Fingerspitzen über ihre Lippen, über ihr Kinn und über die weich modellierten Schlüsselbeinbögen. Aber sie wich zurück und wurde ganz ernst: »Ich will nicht alle deine Liebschaften wissen. Aber wenn sich zwei Sterne im Weltall ganz nahe kommen, dann rufen sie sich zu, woher und wohin und welche Kräfte sie umtreiben.«
»Das ist ein schönes und zugleich trauriges Bild«, flüsterte Duncan.
»Nein, ein dankbares, für die Freude, die eine solche Begegnung schenkt. Deine Welt ist eine andere als meine. Ich möchte nur wissen, aus welchem Universum du gekommen bist. Ich will wissen, was dir Freude bereitet, wissen, was dich bekümmert, was dich bewegt. Lass mich in deine Seele blicken É«
Duncan legte seinen Arm auf Delias Schultern. Er berichtete ihr von seiner Internatszeit, seiner Begeisterung für Malerei und den Funden seiner Forschung. Schließlich kam er ganz von selbst wieder auf das Thema zu sprechen, was ihn in den letzten Tagen in London umgetrieben hatte.
»Ruhemann ist bei seinem Venusbild überzeugt, dass da eine geheime Verabredung, ein vertuschter Skandal oder eine persönliche Tragödie dahinter steckt.«
»Ja, das hat er neulich auch in einem Interview gesagt. Ich verstehe ja nichts davon, aber ich kann kaum glauben, dass es dreihundert Jahre lang in Spanien nur ein einziges Bild einer nackten Frau gegeben haben soll. Das kann doch nicht wahr sein!«
»Nein, wirklich nicht«, sagte Duncan lachend und küsste sie zärtlich. »Vor allem nicht, wenn die Maler so bildschönen Frauen begegnet sind.«
Delia griff in seinen Haarschopf und zog seinen Kopf wieder hoch. »Du kämst ja überhaupt nicht zum Malen. Für dich wäre es nur ein Vorwand, brave Frauen zu verführen«, sagte sie lachend.
»Nein«, protestierte Duncan, »ich würde beides tun, wirklich, ganz im Ernst.« Er setzte sich ihr schräg gegenüber und hielt sie an beiden Armen fest. »Ich würde dich lieben und malen. Einmal als Venus und einmal als Madonna.«
Sie gab ihm einen herzhaften Kuss auf die Lippen und zog die Decke hoch, um ihren Oberkörper zu bedecken. »Na gut! Vielleicht wurden alle Venusbilder versteckt und wieder vernichtet, weil früher nur Madonnenbilder erlaubt waren.«
Duncan nickte. »Es gab keine weiblichen Aktmodelle. Und die Ehefrau des Malers zog sich nicht für die Augen anderer Leute aus.«
»Du meinst, die Dame auf dem Bild war eine Bestellung, wie ein Porträt?«
»Ja, ein Totalporträt. Das denken alle. Velázquez hat fast nur Auftragsbilder gemalt. Irgendjemand muss ihm seine Geliebte geschickt haben, damit er sie malen sollte. Aber wir wissen nicht, wer.«
»Klingt ziemlich eigenartig, wenn du mich fragst. Würdest du kalt bleiben, wenn du mich so im Auftrag eines anderen malen müsstest É?«
Die Frage brachte Duncan zum Lachen. »Willst du mich quälen? Wenn du dazu so verführerisch schaust wie jetzt É!« Er fuhr mit der Hand unter ihre Decke und legte sie weich über ihren Schoß. »Bei vielen Damen saß ja schon beim Porträtmalen eine Kammerzofe dabei. Hättest du mir geholfen, so einen Anstandswauwau abzuschütteln?«
»Mit allen Tricks!« Sie himmelte ihn an.
»Du siehst in deiner Decke jetzt aus wie im härenen Büßergewand. Stell dir vor, wir hätten vor fünfhundert Jahren gelebt, dann hätte ich für die Nonne Delia einen Dispens ihres Klosters erwirken müssen, damit sie mir zum Studium für ein Mariengesicht ausgeborgt wird. Wie Fra Filippo Lippi in Florenz sich eine schöne Nonne auslieh - das war dann die Mutter von Filippino Lippi.« Er umschlang sie. »Meinst du, es wäre uns gestattet worden?«
»Ich glaub schon, obwohl ich nicht weiß, wer diese Mutter war.«
»Das habe ich aus dem Katalog deines Museums erfahren. Sie war nicht Mutter, als sie zum Malen kam, sie wurde es erst É«
»Das fehlte mir noch! Das wären zu viele Probleme auf einmal. Ich werde hier sorgsam deine Spuren tilgen und in den Alltag einer pflichtbewussten Ehefrau zurückkehren.« Sie blickte ihn kurz von der Seite an, wie um seine Reaktion abzuschätzen. Er sagte nichts. »Es braucht dich nicht zu bekümmern«, fuhr sie fort. »Mein Mann ist noch drei Tage fort, und bis dahin É« Sie drückte sich an ihn und sagte leise: »Du ahnst nicht, was mir deine Bewunderung bedeutet. Und es wird für eine lange Zeit vorhalten müssen.«
Duncan legte beide Arme um ihre Schultern: »Und du ahnst nicht, was für eine herrliche Frau du bist. Gib mir ein Zeichen, und ich werde kommen und dich wieder bewundern.«
»Aber es darf keiner davon erfahren.«
»So wie bei Velázquez und seiner Venus. Denn ich glaube, er muss sie heimlich geliebt haben.«
Nach einigen Momenten nachdenklichen Schweigens setzte er sich zur Seite und nahm das anfängliche Thema wieder auf: »Wenn man sich die früheren Umstände klarmacht, dann ahnt man, dass Schönheit und Liebe und die Hand eines großen Malers nicht zusammenkommen durften. Das war eine verbotene Magie. Aber irgendwie ist VelázquezÕ Bild dennoch entstanden und gerettet worden vor eifersüchtiger Moral.«
»So wie du das erzählst, wird aus einer Bildbeschreibung fast ein Kriminalroman, eine Geschichte von Heimlichkeit und Abenteuer. Das gefällt mir.«
»Ruhemann hat mich richtig angesteckt«, bekannte Duncan. »Ich werde alle Bücher und vielleicht sogar die originalen Briefe von damals durchsehen. Ich will nicht irgendetwas zusammenreimen, sondern den wahren Hintergrund herausfinden.«
Sie nahm dies begeistert auf: »Ich habe dich in unserer Bibliothek beobachtet. Du bist ein richtiger Spürhund, Duncan!« Zutraulich rieb sie ihre Wange an seiner Schulter.
»Du machst mich verlegen É«
»Ach komm! Ich liebe es an dir, wenn du dich so voller Eifer in eine Sache stürzt und alles um dich herum vergisst«, meinte sie, nicht ganz ohne Ironie. »Du hast ja wirklich tagelang nur Augen für die Bücher gehabt.«
»Dich habe ich aber nicht übersehen É«, wandte Duncan ein.
»Aber fast«, sagte sie lachend, »wenn ich nicht ein Auge auf dich gehabt hätte.« Seinen gespielten Protest beschwichtigte sie mit Küssen. »Du wirst sicher die aufregendsten Entdeckungen machen É und ich werde dir mit allem helfen, was mir so über den Weg kommt.«
Sie löste sich von ihm und glitt von der Couch. Duncan nahm voller Faszination im Gegenlicht des Kerzenscheins die weichen Linien ihrer Silhouette wahr. Als sie zurückkam, war sie in einen langen blauen Morgenmantel gehüllt. Sie stellte ein Tablett mit Snacks auf einen kleinen Beistelltisch und setzte sich neben ihn. Duncan richtete sich auf, öffnete behutsam ihren Mantel, legte seinen Arm um ihre nackten Schultern und zog sie an sich. Er fühlte mit seiner Hand die kühle, glatte Haut. Sie lehnte sich wärmesuchend an ihn, und beide empfanden erneut die Wonne inneren Gleichklangs.
Während sie entspannt einander in den Armen lagen, berichtete Duncan ihr von seinen Lieblingsbildern, von seiner Kopierarbeit und von seinen Wiederentdeckungen. Es tat ihm wohl, eine so aufmerksame Zuhörerin gefunden zu haben.
Delia sah ihn zärtlich an. »Du erzählst so wunderbar, und es langweilt mich überhaupt nicht, obwohl mein Alltag das Museum ist. Ich erlebe dort so viel wichtiges Getue und so viel hohle Schwärmerei um dunkle alte Leinwände. Wirklich schön finde ich nur ganz wenige Bilder.«
»Und welche sind das?«, fragte Duncan.
»Die Venus des Velázquez ist natürlich dabei und noch ein paar Gemälde, bei denen ich erlebt habe, wie unsere Restauratoren sie gereinigt haben. Und sonst die Werke von Constable und Bonington und einigen anderen Landschaftsmalern, die ich hier an der Wand habe.«
»Du hast ein klares Urteil. Das gefällt mir an dir. Wenige Leute wissen überhaupt, welche Bilder ihnen wirklich Eindruck machen.«
»Ich weiß auch, welche Männer mir Eindruck machen.« Sie funkelte ihn mit einem gewinnenden Lächeln an. »Und du darfst mir ruhig noch etwas von deinen Bildergeschichten erzählen. Etwas richtig Spannendes! Ich lese nämlich gern Krimis, weißt du.«
Duncan überlegte: »Wer weiß, was hinter einem solchen Bildauftrag stecken mag: Liebe, Eifersucht, Prestigedrang? Manche Leute kommen zu Ruhm und wollen als Helden oder Primadonnen verewigt werden oder geliebte Menschen in Bildern festhalten, lebensgroß in Öl auf Leinwand É«
»Ich wollte dich lebensgroß, auf meiner Bettleinwand, aber nicht in Öl É«, warf sie lachend ein und kraulte in seinen Haaren.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 17.12.2004