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Von der Trällernixe
zur Wissenschaftlerin

Soziologe Volker H. Davids erforschte die Bond-Girls

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Ein Liebespaar, eng verknäuelt. Da klingelt das Telefon, der Chef ist dran: ein wichtiger Einsatz. Und es ist die Frau, die kühlen Herzens aufsteht und geht. Hier hat jemand listig mit unseren Erwartungen gespielt. Wie und warum - das hat der Soziologe Volker H. Davids erforscht.

Wenn Sie James-Bond-Fan sind, kennen Sie natürlich die Szene aus dem »Spion, der mich liebte«. Die russische Agentin Anja Amasowa (gespielt von Barbara Bach), wird von den Kremlherren in den Kampf gegen den Kapitalismus gerufen. In einen Kampf, der mit den subtilen Mitteln moderner Wissenschaft geführt wird. Die Wissenschaft aber war bis 1977, als der Bond-Streifen in die Kinos kam, eine klar männlich besetzte Domäne. »Der Film markiert den Beginn einer neuen Auffassung von der Rolle der Frau - die Wissenschaftlerin wird geboren«, sagt Davids, der diesem Phänomen seine Examensarbeit an der Universität Bielefeld widmete.
Im Jahrhundertsommer 2003, als alle Welt im Freibad lag, ließ Davids zu Hause die Rolläden runter und schob Bond-Cassette auf Bond-Cassette in den Recorder. »Da muss man schon leidensfähig sein, denn um auch die letzte Nuance des Geschehens auszuloten, musste ich mir die 21 Filme mit ihren nicht immer intelligenten Dialogen mehrfach anschauen.«
Warum erforscht die Soziologie einen frei erfundenen Geheimdienstler? Deshalb: »In der realen Welt spielt die Wissenschaft eine immer wichtiger werdende Rolle. Da ist es spannend herauszufinden, ob das Medium Film, das unser Denken und Fühlen beeinflusst, mit dieser Entwicklung Schritt hält.« Die James-Bond-Reihe eigne sich hervorragend als Forschungsobjekt, weil sie über Jahrzehnte eine unveränderte Erzählstruktur bewahrt habe.
Eine komplizierte Struktur allerdings. Die auf der Seite der Guten gewählte Konstellation mit Chef (»M«), Techniker (»Q«) und Held (007) findet ihre Entsprechung bei den Bösen. Da gilt es sechs Figuren auseinanderzuhalten. Um die Sache zu erschweren, kommen jeweils eine schöne Frau und zahlreiche Nebenfiguren hinzu. »Nun wollen die Bond-Produzenten ja nichts künstlerisch Wertvolles drehen, sondern ordentlich Geld verdienen«, analysiert Davids. Zu diesem Zweck lockt man sinnvollerweise nicht nur Spätpubertierende mit Heldenphantasien ins Kino, sondern auch die Frauen.
Die finden Bond-Filme ebenfalls toll. Warum, weiß die Wissenschaft noch nicht. Aber man hatte die Wahl: »Entweder wäre eine weitere Figur dauerhaft in das ohnehin komplexe Personengeflecht eingebaut worden, ein Wissenschaftler. Keine gute Idee, weil zu unübersichtlich. Oder man hätte Bond selbst zum Wissenschaftler gemacht. Als Mann, der alles kann, wäre er aber unglaubwürdig geworden. Also streifte man dem Bond-Girl, das in Gestalt von Ursula Andress als trällernde Nixe in ÝDr. NoÜ begonnen hatte, das Gewand der kompetenten Wissenschaftlerin über«, erklärt Davids.
Und siehe, es passte. »Seither ist es - mit Unterbrechungen in den beiden Timothy-Dalton-Bonds - immer das Bond-Girl, das die entscheidenden Informationen liefert, ohne die 007 seine Mission nicht erfolgreich beenden könnte.« In »Moonraker« (1979) hätte er es nicht einmal zum entscheidenden Showdown geschafft: ins All. Dorthin kutschierte ihn erst die Astronautin Holly Goodhead (Lois Chiles).
Seit »Goldfinger« (1964; Davids' Lieblings-Bond), als die Mädels noch »Pussy« oder gar »Ding« hießen, hat das Bond-Girl einen weiten Weg zurückgelegt. Mit Pierce Brosnan als Bond (1995 bis 2002) wurden gar zwei Wissenschaftlerinnen etabliert: das übliche Girl plus die Dame, die 007 zu Beginn jedes Abenteuers zu vernaschen pflegt - eine Psychologin, eine Dänisch-Professorin, eine Ärztin.
So wurde alles gut. Die Bond-Produktion kriegte die Frauen ins Kino, und Volker H. Davids eine hervorragende Examensnote.
Allerdings hätte die Sache auch ganz furchtbar ausgehen können: Wenn man auf das deutsche Publikum gehört hätte. Das wünscht sich nämlich den »Hobbythek«-Schnauzbart Jean Pütz als Bond-Gegenspieler. Der würde zwar blaue Bohnen aus Sojapflanzen extrahieren und die Welt mit der Tensid-Bombe bedrohen, hätte damit aber das Action-Kino eingesargt. Und mit ihm die Wissenschaftlerin in diesem scharfen Bikini.
Das Bond-Girl eben.

Artikel vom 11.12.2004