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Toter Stein erwacht zum Leben

Jürgen Noltensmeier zeigt riesige Hausfassaden bei »Artists Unlimited«

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Ob es sich lohnt, sein ganzes Leben dem Erwerb und der Abzahlung eines eigenen Häuschens zu widmen? Als Künstler wird man ja wohl mal fragen dürfen . . .

Wenn an diesem Samstag um 19 Uhr in der Galerie »Artists Unlimited« die Schau »paar Häuser weiter« eröffnet wird, dann braucht kein Häuslebauer gleich den Dolch im Gewande zu führen -Ê so richtig ernst meint Jürgen Noltensmeier seine Kritik an einem typisch deutschen Verhaltensmuster nun auch wieder nicht. Der 37-jährige Künstler aus dem lippischen Kalletal lässt sich nur gerne von der Architektur der Vororte dieser Republik zu seinen Riesenformaten inspirieren: Häuserfassaden, hinter denen jemand (wer eigentlich?) lebt.
»Ich habe mich auch schon mit Porträts beschäftigt, aber mir scheint, als sage eine Hauswand, eine Fensterfront, ein Eingangsbereich oft mehr über den Menschen aus als sein Gesicht«, sinniert der Künstler. Also lässt er die Außenhaut des deutschen Hauses auf sich wirken und sucht nach dem unscheinbaren Detail, dem halb heruntergelassenen Rolladen, der Spiegelung des Nachbargiebels in der Fensterscheibe, dem Schemen hinter der Gardine.
Ou weia, da malt einer Häuser. Das hat Edward Hopper auch getan, mit »erschreckend geringem Talent« (Noltensmeier) übrigens. Und weil kein Klischee abgedroschen genug ist, als dass es dem Kunstkritiker nicht noch zur Aufnordung seiner Traktate dienen müsste, ist der Kalletaler, der in einem kleinen Kutscherhäuschen in Leipzig zur Miete wohnt, prompt als »lippischer Hopper« schubladisiert worden. Eine zweifelhafte Ehre, denn Noltensmeiers Fassaden sind nicht halb so tot wie die des US-Amerikaners, ein bisschen abweisend vielleicht, aber das auch nur auf den ersten Blick.
Im Anblick der warmen Farben, Ei-Tempera statt der modischen Industrielacke, wird der Betrachter vom Drang ergriffen zu ergründen, was sich wohl hinter den glatten Fassaden abspielen mag. Der Dialog des Kunstfreunds mit dem Objekt - hier kommt er tatsächlich einmal in Fluss.
Sinnlichkeit. Das Auge lacht, es lacht das Herz. Dazu passt des Künstlers Diktum über gegenstandslose Malerei: »Als ich Glasgow, wo ich ein Jahr lang studierte, wieder verließ, konnte ich nichts Abstraktes mehr sehen.« Die vermaledeiten »ewigen Farbfelder« sind aber nicht verschwunden, sondern stehen bei Noltensmeier dort, wo sie hingehören: im Dienst des realistischen Motivs.
Allzu genau nimmt er es nicht mit der Realität: »Malt man eine Satellitenschüssel am Balkon, wird's doch sofort peinlich.« Noltensmeier reduziert. Und potenziert damit die Wirkung seiner Bilder, erweckt toten Stein zum Leben - unmerklich wandelt sich die Fassade mit ihren Fenstern und Reflexen zum menschlichen, okay: zum roboterhaften, Antlitz.
Der äußerst fruchtbaren Schaffensphase in Bielefeld soll ein Zyklus folgen, bei dem die menschliche Figur in den Vordergrund tritt. In seinen Texten tut sie das von jeher - Noltensmeier schreibt nämlich auch. Einen Roman bisher. »Jetzt hat ein Verlag Interesse an meinen Bühnentexten bekundet. Schreiben brauche ich als Gegenpol zur Malerei.«
Erzählen ist Jürgen Noltensmeiers große Leidenschaft. An diesem Samstag, 20 Uhr, liest er aus seinen »Geburtenstarken Jahrgänge« (Kiepenheuer & Witsch) in der Galerie an der Viktoriastraße 24. Nix wie hin!

Artikel vom 04.12.2004