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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Advent heißt Ankunft: Gott kommt in Jesus Christus auf die Erde und geht in unser menschliches Leben ein, um es ganz mit uns zu teilen. In einem alten Weihnachtslied heißt es davon: »Er liegt wohl in der Krippe, in Elend, Jammer groß.« Doch der Text geht weiter und setzt einen mächtigen und strahlenden Kontrapunkt dagegen: »Ist doch Herr aller Dinge, sein Herrschaft hat kein Maß.«
Es ist wie in der Weihnachtsgeschichte: Das Kind im dunklen Stall und draußen, im gleißenden Licht, »die Menge der himmlischen Heerscharen« - äußerster Gegensatz und zugleich eine göttliche Einheit. Denn eine Seite erläutert die andere. Sie bildet ihr notwendiges Gegenüber und Gegengewicht: Weil Christus »Herr aller Dinge« ist und bleibt - nur deshalb kann er retten von allem, was uns droht und zugrunde richten will. Andererseits: Nur weil er als Mensch geboren ist wie wir, kann ich wissen, daß er sich nicht zu schade für mich ist und sich meiner nicht schämt.
Advent heißt nicht nur Ankunft, sondern auch - Thema des 2. Adventssonntags - Wiederkunft Jesu Christi am Ende der Welt. Wiederum gehört beides zusammen: die Ankunft Jesu als Mensch und seine Wiederkunft als der universale Herr. Es geht um den Zusammenhang eines unscheinbaren Anfangs mit der Vollendung in Vollkommenheit.
Gott hat sich nämlich nicht etwa in einer Anwandlung von Sentimentalität irgendwann einmal für die Menschen interessiert, um dann dieses Interesse wieder zu verlieren, sondern es ist in aller Ewigkeit in Kraft. Das wird sich einmal klar und deutlich zeigen. Ebenso hat Gott nicht aus einer Laune heraus die Welt irgendwann einmal geliebt, um sie dann wieder sich selbst zu überlassen und zu vergessen. Vielmehr hält er ihr die Treue, und sie wird sich am Ende gegen alles andere durchsetzen, was sich im Augenblick noch als stärker gebärdet.
Denn Christus, als Kind in einem Stall geboren, ist der geheime Herr der Geschichte. Er hält ihre Fäden unsichtbar in der Hand und wird allein recht behalten. Das gilt für die große Weltpolitik, in der Gott oft gar nicht zu zählen scheint, und ebenso für den viel kleineren Zuschnitt des eigenen Lebens. Alle unauflösbaren Rätsel, alles Unbegreifliche und sinnlos Erscheinende, alles Harte und Schmerzliche, aber auch die Momente überwältigenden Glücks - sie alle werden dann erkannt als Mosaiksteine, die in dem Gesamtbild unseres Daseins absolut sinnvoll und notwendig waren.
Daß der Herr bald wiederkomme, war die glühende Hoffnung der ersten Christen. Sie erfüllte sich so nicht. Mühsam mußte man lernen, daß Gottes Uhren anders gehen. Zwar haben Sekten später dieses Thema immer wieder aufgegriffen, das Weltende vorausgesagt, sich und andere nervös gemacht, aber sich selber am Ende damit nur blamiert.
Bei diesem Thema in zeitlichen Kategorien zu denken, geht wohl überhaupt an der Sache vorbei. Vielmehr kommt es darauf an: Wir werden Gott schauen, denn wir kommen von ihm her, und wir gehen auf ihn zu; er hat uns umfangen von Anfang an und von Ewigkeit her. Dieser Gott aber wird nicht eine unbekannte Macht sein, nicht eine Weltformel, nicht ein blindes Schicksal. Er wird vielmehr die Züge tragen, die wir kennen: das Gesicht Jesu Christi.
Das aber schenkt Mut, alles das, was in der Zukunft auf uns wartet und aus der Zukunft auf uns zukommt, nicht losgelöst von Jesus Christus zu sehen, mit seiner Zusage im Ohr: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.« In diesem Sinne rät uns der von den Nazis hingerichtete Jesuitenpater Alfred Delp: »Laßt uns diesem Leben trauen, weil wir es nicht allein leben, sondern weil Gott es mit uns lebt.«

Artikel vom 04.12.2004