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Dr. Ulrich Hamberger untersucht ein Stück Dickdarm nach Krebsgeschwüren um festzustellen, ob eine weitere Operation notwendig ist.

Die Pathologen sind
ganz anders als ihr Ruf

TV zeichnet ein schiefes Bild dieser Spezialmediziner

Von Sabine Schulze (Text) und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Gerichtsmediziner in TV und Literatur haben immer Konjunktur. Ob sie wie Quincy in Los Angeles arbeiten, wie Prof. Boerner in Münster oder wie Kay Scarpetta in Richmond. Auch die Chefärztin der Pathologie in den Städtischen Kliniken hat es bereits zu Fernsehruhm gebracht.

Allerdings war Prof. Dr. Ute Raute-Kreinsen nicht als Medizinerin zu sehen: In einem »Tatort« mit Lena Odenthal lief sie - à la Hitchcock - einmal als Kommissarin durchs Bild. Vorrangig bestand ihr Job bei den Dreharbeiten aber in der Beratung: damit die Arbeit der Pathologie nicht in ein schiefes Licht geriet.
Der durchschnittliche Fernsehzuschauer hat von diesem Berufsstand eine klare Vorstellung. Danach seziert der Pathologe vor allem die Opfer von Gewaltverbrechen und trägt dazu bei, den Täter zu entlarven. In Deutschland ist dies aber Aufgabe der Gerichtdsmediziner und nicht der Pathologen. Und Obduktionen machen ohnehin nur einen geringen Teil der Arbeit aus, die diese »Ärzte im Hintergrund« erledigen. Viel häufiger sind mikroskopische Untersuchungen von Gewebe und Zellen - alles von lebenden Menschen, wie Ute Raute-Kreinsen betont.
»Wir haben etwa 300 Obduktionen im Jahr«, erklärt die Chefärztin. Für sie ist das eindeutig zu wenig: »Bei 15 bis 20 Prozent der Verstorbenen steht die Todesursache heute trotz ausgereifter Technologien nicht eindeutig fest. Und man kann davon ausgehen, dass weltweit jede vierte Diagnose falsch ist.« Die Obduktion diene mithin der Qualitätskontrolle und der Erforschung neuer Erkrankungen, betont sie. »Aids zum Beispiel ist auch von Pathologen entdeckt worden.«
Bei einer Reihe von Infektionskrankheiten sind Obduktionen gesetzlich vorgeschrieben, auch beim Verdacht, dass der Tod mit einer Berufskrankheit zusammenhängen könnte. »Vielleicht fünfmal im Jahr aber werde ich von Kripo oder Staatsanwaltschaft gebeten, eine aufgefundene Leiche genauer anzusehen«, erzählt Ute Raute-Kreinsen. Sollte sie allerdings Auffälligkeiten finden, müsste sie sofort das Messer fallen lassen: »Dann sind die Gerichtsmediziner aus Münster an der Reihe.«
Wichtig ist der Pathologin, der stets einer der beiden Sektionsgehilfen zur Hand geht, dass die Würde der Verstorbenen gewahrt wird. »Eine Obduktion verläuft sehr sauber, nach festen Regeln und ist streng genommen eine erweiterte Operation.« Nach jeder Obduktion findet eine klinisch-pathologische Konferenz mit den behandelnden Ärzten statt. »Sie schildern dann den klinischen Verlauf, ihre Diagnose und Therapie, und ich erkläre, zu welchem Befund ich gekommen bin.«
»Epidemiologische Aussagen sind nur bei einer Quote von mindestens 80 Prozent möglich.« Auch wenn Ute Raute-Kreinsen lieber folglich bedeutend mehr Obduktionen vornehmen würde, besteht ihre Hauptarbeit aus der mikroskopischen Untersuchung von Zellen und Gewebe, das Lebenden entnommen wurde.
Etwa einen halben Meter Dickdarm hat ihr Kollege Dr. Ulrich Hamberger vor sich liegen. Er wurde einer älteren Frau entnommen und steckt voller Krebsgeschwüre. Hamberger untersucht sie genau, tastet den Darm ab, vermisst den Tumor und bettet Gewebescheiben in Paraffin ein. Schnitte und Paraffinblöcke werden 20 beziehungsweise zehn Jahre aufgehoben. Zugleich richtet er sein Augenmerk darauf, ob der Chirurg bei der Operation »im Gesunden« gelandet ist, ob er also weit genug geschnitten hat, so dass die Patientin jetzt tumorfrei ist. Sollte Hamberger in den Randstücken weitere Tumorzellen nachweisen, müsste erneut operiert werden.
Ohne Zeitverlust müssen auch die »Schnellschnitte« untersucht werden: Gewebeproben, die während einer Operation entnommen und auf kürzestem Wege aus den beiden städtischen Kliniken und dem Franziskus-Hospital in die Pathologie an der Oelmühlenstraße gebracht werden. Während das jeweilige Operationsteam pausiert und abwartet, geht dort alles schnell: Der Gewebeschnitt wird von einer der zehn medizinisch-technischen Assistentinnen schockgefroren, dann in feine Scheiben geschnitten und anschließend von einem der sechs Ärzte im Team mikroskopisch untersucht.
Der Befund wird dem wartenden OP-Team nach wenigen Minuten telefonisch mitgeteilt. Ist er negativ, kann die Operation beendet werden, und der Patient wird beim Aufwachen erfahren, dass er krebsfrei ist. Anderenfalls wird weiter operiert, wenn das vorab so mit dem Patienten besprochen wurde. »Zehn bis 15 Schnellschnitte bekommen wir am Tag herein«, sagt Ute Raute-Kreinsen. Und ergänzt, dass ihr »Gott sei Dank« noch keine falsch positiven Beurteilungen unterlaufen seien.
Zu den Aufgaben ihres Teams gehört auch die Beurteilung von Zellen, die bei zytologischen Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen entnommen wurden, zum Beispiel bei Schleimhautabstrichen oder punktierter Flüssigkeit. Schon die Vorstufen bösartiger Erkrankungen können so rechtzeitig entdeckt werden. »Der Gebärmutterhalskrebs ist dank dieser Untersuchungen heute vergleichsweise gut im Griff«, versichert die Pathologin.
Nach wie vor findet sie ihren Beruf einfach toll und würde ihn sofort wieder ergreifen: »Er umfasst alles, den ganzen Menschen und alle Erkrankungen.« Dass sie und ihre Mitarbeiter immer auf dem neuesten Stand sind und modernste Untersuchungsmethoden anwenden, versteht sich von alleine. Ihre Untersuchungsergebnisse haben schließlich auch Konsequenzen für die Therapie. Und sie helfen zum Überleben.
Im »Tatort« des Südwestfunks war übrigens der Pathologe (gespielt von Matthias Habich) der Killer . . .

Artikel vom 11.01.2005