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Juristen lehnen Reform ab

Bielefelder verteidigen den dreizügigen Instanzenweg

Bielefeld (uko). Die großangekündigte Justizreform stößt bei führenden Juristen in Bielefeld auf einhellige Ablehnung. Uwe Jürgens, Präsident des Landgerichts, äußerte harsche Kritik an der Politik: »Das ist nicht das große Reformwerk.« Dietrich Meißner, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Hamm, sprach am Freitag gar von einem »Schnellschuss«.

Die Justizministerkonferenz hate sich auf eine »große Justizreform« verständigt, die als Gesetzesinitiative in Bundestag und Bundesrat eingebracht werden soll. Eckpunkte waren - im Zeichen »leerer Kassen« - so eine »funktionale Zweistufigkeit« sowie der komplette Verzicht auf Rechtsmittel im Ordnungswidrigkeitenrecht. Notare sollten demnach »einvernehmliche Scheidungen« übertragen werden, Grundbücher und Register könnten ausgelagert werden.
Diskutiert wurde sogar, das Gerichtsvollzieherwesen zu »privatisieren«. Uwe Jürgens hält von derartigen Planungen »nichts«. Dies sei eine orginäre »rechtsstaatliche Leistung«, sagte er gestern dem WESTFALEN-BLATT. Auch NRW-Justizminister Wolfgang Gerhards hatte sich dagegen ausgesprochen, Pfändungen »Schwarzen Sheriffs zu überlassen«. Und Rechtsanwalt und Notar Dietrich Meißner pflichtet in diesem Punkt bei: »Das ist eine gute Institution.«
Dietrich Meißner meldet obendrein Kritik an, wenn Notare einvernehmliche Scheidungen vollziehen sollen. Als reine »Pflichtübung« in Form eines Federstrichs sei dieser Plan akzeptabel, doch was geschehe im Fall eines Zugewinn- oder einem Versorgungsausgleiches. Wenn zwei gleichberechtigte Partner vor einem Juristen säßen, müsse der irgendwann parteilich werden. »Kann ein Notar auch dann für beide Seiten einvernehmlich tätig werden?«, fragt Dietrich Meißner.
Die Verschlankung des Instanzenzuges schmeckt dem Rechtsanwalt Meißner indes überhaupt nicht. »Das öffnet doch Tür und Tor für Ungerechtigkeiten.« Auch Hans-Jürgen Donath, Direktor des Amtsgerichts, verteidigt die Dreizügigkeit der Justiz. »Die erste Instanz müsste anderenfalls mit einem Aufwand arbeiten, der einfach nicht zu leisten ist. Es ist zu fragen, ob das Einheizen so nicht teurer als das Backen ist«, meint Donath.
Grundsätzlich müsse sich »in den Köpfen der Menschen etwas ändern«, fordert Uwe Jürgens. »Wir müssen für die Bevölkerung schlanker und transparenter werden.« Eine Reform, die ausschließlich dazu diene, Geld zu sparen, ist nach Jürgens Ansicht obendrein »Quatsch«. Der Landgerichts-Präsident setzt dagegen auf »die Einsichtsfähigkeit der Menschen«, nicht mit jeder Querulanz zum Gericht zu laufen. Allerdings sieht er dieses Verhalten auch in der Politik verankert: »Wenn eine Partei im Bundestag mit einer Entscheidung nicht einverstanden ist, läuft man auch sofort zum Bundesverfassungsgericht.«

Artikel vom 30.11.2004