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»Ernte« in Falludscha

Die Mehrheit der Bewohner kann noch nicht zurück

Bagdad (WB/rb). Eine Folterkammer und Waffenmengen, die ausreichen für die Verteidigung »des ganzen Iraks«, wurden von US-Marines nach eigenen Angaben in Falludscha entdeckt.

Man habe auch ein »Kochbuch« zur Herstellung chemischer Waffen und zum Umgang mit Nitraten sowie Nervengasen gefunden, sagte schon am Mittwoch Offizier Jim West vom Ersten Marines Expeditionscorps. Der brisante Fund in der einstigen irakischen Rebellenhochburg Falludscha wurde gestern von irakischer Seite bestätigt.
»Soldaten der irakischen Nationalgarde haben ein chemisches Labor gefunden«, so Sicherheitsminister Kassim Daud auf einer Pressekonferenz in der Hauptstadt Bagdad. Er sprach sogar von der Herstellung von Anthrax. Der Sicherheitsberater der irakischen Übergangsregierung zeigte Bilder der Folterkammer, die in einem Moscheekomplexliegen soll. Zu sehen sind auf den Fotos Folterwerkzeuge und Blutspuren aus jüngster Zeit.
Unterdessen kursierten neue Gerüchte über den Aufenthaltsort des jordanischen Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi. Der Kommandeur der Nationalgarde im nordirakischen Kirkuk, Anwar Mohammed Amin, erklärte, Al-Sarkawi, auf dessen Konto zahlreiche Anschläge und andere Gräueltaten gehen sollen, habe sich vor einigen Tagen in der Region um die Stadt Tos Chormato aufgehalten. Anschließend soll er nördlich von Bakuba gesichtet worden sein. Die US-Armee hatte den Jordanier vor ihrer Offensive in Falludscha vermutet. Noch am Dienstag hatte der US-Kommandeur in Kirkuk, Lloyd Miles, erklärt, es gebe Hinweise, wonach Al-Sarkawi sein Quartier in den Norden verlegt habe.
Fast menschenleer ist derzeit die 250 000-Einwohnerstadt Falludscha. Nach dem Sturm vom 8. November wird jetzt jedes einzelne der geschätzt 50 000 Gebäude durchsucht. Marines-Kommandeur Dan Wilson kündigte an, es werde noch Tage und Wochen dauern, bis die Bewohner in größerer Zahl in die Stadt zurückkehren könnten. Die Suche und Entschärfung von Waffen, Minen und Munition sei für seine Soldaten eine enorme Arbeit und Herausforderung. Bei der als »Harvest« (Ernte) bezeichneten Aktion finden die US-Truppen offenbar Kalaschnikows, Raketen, Gewehr-Granaten, und großkalibrige Munition. Waffendepots sind nach Militärangaben oft durch an einem Seil hängende Backsteine für den erwarteten Häuserkampf markiert.
Nach Geheimdienstberichten muss in Falludscha ein Taliban-ähnliches Regime geherrscht haben. Aushänge drohen drakonische Strafen etwa Händlern an, die bestimmte Plätze verstellen. Frauen ohne Schleier sollen auf der Stelle hingerichtet werden. Funde von bestialisch verstümmelten Frauenleichen stützten das Bild, heißt es nach diesen Quellen weiter.
Einen Aufruf zur Rückkehr geflüchteter Ärzte richtete unterdessen der Direktor von Falludschas größtem Krankenhaus an seine Kollegen. Im Sender Al Jazeera sagte Dr. Rafie al-Issawi, es gebe eine Vereinbarung mit den US-Truppen über deren sicheres Geleit.

Artikel vom 26.11.2004