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Die Partie des Nadir ist eine Rolle ganz nach dem Geschmack des Hector Sandoval: Lyrisch in der Grundstimmung, erfordert die Partitur das ganze Können und gesangliche Spektrum eines lyrischen Tenors. »Das ist, als ob man eine Gesangsprüfung ablegen würde, eine echte Herausforderung für Technik und Stimme«, erzählt Sandoval und muss schmunzeln. Die Gedanken schweifen ein paar Jahre zurück nach Mexiko, wo er die Partie schon einmal an der Oper von Mexiko City gesungen hatte. Damals war Sandoval spontan für einen erkrankten Kollegen eingesprungen. »Ich hab mir das zugetraut und wollte endlich mal zeigen, was ich kann«, sagt der Sänger, der die Kritiker letztlich überzeugen konnte.
Eingesprungen ist der freischaffend tätige Sandoval seither häufig. Nicht zuletzt eine kurzfristige Vertretung in »La Cenerentola« führte ihn vor vier Jahren zum ersten Mal ans Bielefelder Theater, wo man auf die Qualitäten des Sängers aufmerksam wurde und ihn für »La Traviata« buchte. Als Alfredo Germont verzückte er damals nicht nur das Bielefelder Publikum, er stand auch mit Melanie Kreuter (Violetta) und Alexander Marco-Buhrmester (Giorgio Germont) gemeinsam auf der Bühne. Beide wirken jetzt wieder in den »Perlenfischern« mit.
Sandoval lobt den kollegialen Sinn des Bielefelder Ensembles. Das sei nicht selbstverständlich sagt der Vielgereiste, der unter anderem Engagements am Landestheater Salzburg, an der Semperoper Dresden, an den Stadttheatern in Heidelberg, Freiburg und Braunschweig innehatte und sich im Konzerthaus Wien ebenso zu Hause fühlt wie an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. »Man wird schon so manches Mal erst kritisch distanziert behandelt. Meist legt sich das aber nach ein paar Proben wieder«, so die Erfahrung des Künstlers.
In ein festes Engagement wollte er nie. »Als Freischaffender kann ich mir die Rollen aussuchen, und bislang gab es zum Glück keinen Mangel an Angeboten«, freut sich Hector Sandoval, der seine Stimmtechnik bei namhaften Persönlichkeiten wie Placido Domingo und Franzisco Araiza schulte.
Musikalisch veranlagt war er schon immer, obwohl er nicht aus einer typischen Musikerfamilie stammt. »Mit vier Jahren habe ich Klavierstücke nach Gehör nachgespielt, später bekam ich regelmäßigen Unterricht. Meine Eltern haben meine musikalische Begabung erkannt und zum Glück stets unterstützt«, erzählt Sandoval, jüngstes von elf Kindern. Dass er schließlich beim Gesang landete, bezeichnet er als Zufall. »Eigentlich wollte ich Pianist werden. Aber dann war bei einem Konzert der Gesangssolist ausgefallen. Da bin ich spontan eingesprungen. Das Stück, Valencia, hatte ich vorher nur so aus Spaß für mich einstudiert«, erzählt Sandoval, dessen Sangeskarriere damit besiegelt war.
Dass er in Europa bessere Angebote und Weiterbildungsmöglichkeiten vorfindet, liegt auf der Hand. Aber das Heimweh plagt den Sänger auch noch nach acht Jahren, in denen er nun in Wien lebt. Einmal im Jahr gönnt er sich eine berufliche Auszeit und reist nach Hause, um - man glaubt es kaum -Ê Kampfhähne zu züchten. »Ich habe mir vor Jahren einen Traum erfüllt und eine Ranch gekauft. Der Umgang mit Tieren ist für mich die beste Therapie. Da kann ich alles um mich herum vergessen und völlig abschalten«, betont Sandoval.
Doch vorerst warten große Aufgaben auf den Tenor, der der »Perlenfischer«-Premiere an diesem Samstag entgegenfiebert und gleich darauf den Zug nach Luzern nimmt. Dort beginnen am Montag die Proben zu »Rigoletto«. Das bedeutet für ihn, zwischen Bielefeld und Luzern zu pendeln. »Aber das habe ich gern ihn Kauf genommen. Der Nadir ist eine Traumrolle, eine, in der ich mich richtig wohl fühle«, sagt Hector Sandoval.

Artikel vom 27.11.2004