27.11.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Gastspiel von René Kollo in der Altstädter Nicolaikirche gab Anlass zur Kritik.

»Winterzauber« mit ärgerlichem Beigeschmack


Zu dem Auftritt von René Kollo in der Altstädter Nicolaikirche schreibt ein Leser:

»Startenor verzaubert mit Schuberts Winterreise«. So betitelte Uta Jostwerner die Besprechung der Kolloschen »Winterreise« in der Marienkirche am vergangenen Dienstag. Leider war Herr Kollo an diesem Abend gesanglich in Wahrheit keine Offenbarung. Niemand kann ihm übelnehmen, dass er die Lieder nach unten transportiert hat (was den Tenor freilich schon in baritonale Gefilde brachte), auch wenn er infolgedessen - wie in »Wasserflut« - wiederum einige tiefe Töne interpolieren musste. Dass aber den Vokalen jeglicher Glanz fehlte und sein Vibrato, wo es zu hören war, reichlich gequält klang, ist Beleg genug dafür, dass Herr Kollo stimmlich eben nicht mehr so »reich gesegnet« ist, wie die Autorin gehört zu haben glaubt.
Kollos Interpretation, wie er sie im Programmblatt und im Booklet seiner CD vorstellt, mag durchdacht und in sich schlüssig sein. Fein(sinnig)e Nuancierungen aber waren an diesem Abend (wie zum Schluss der Besprechung richtig feststellt) tatsächlich nicht zu konstatieren. Ob das an der »halligen« Akustik der Altstädter Kirche lag, sei einmal dahingestellt. Jedenfalls hat diese Akustik geholfen, stimmliche (und erst recht textliche!) Schwächen des Sängers zu kaschieren.
Wenn schon nicht mit sängerischen Mitteln, so versuchte Herr Kollo mit einer ausgeprägten Gestik Effekt zu machen, die in dieser Form bei einem Liederabend nichts zu suchen hat. Gerade gegen Ende des Zyklus' verlor er sich in einer beinahe szenischen Darstellung des Vorgetragenen, die einem Opernsänger auf der Bühne sicher gut zu Gesicht steht (die Autorin spricht ja auch beschönigend von »Bühnenpräsenz«), in einem Liedervortrag aber vom Wesentlichen ablenkt - nämlich von der Gestaltung des Textes mit vokalen Mitteln.
Die Autorin fühlte sich von dieser Winterreise »verzaubert«. Die schönen Eindrücke seien ihr und dem Publikum gegönnt -Êes war ja auch ein netter Abend. Bedenklich ist es aber, wenn der Vergleich mit Besprechungen von Konzerten, die ohne »Stars« stattfinden, den Verdacht nahelegt, dass der Name des Ausführenden wichtiger ist als Qualität, wenn also mit zweierlei Maß gemessen wird. Als Beispiel sei die Aufführung des Verdi-Requiems vor knapp zwei Wochen in der für Chorkonzerte derzeit nicht optimalen Oetkerhalle angeführt. In der Rezension, der offenbar strengste Maßstäbe zugrunde liegen, wird der Eindruck erweckt, es sei unkonzentriert, im schlechtesten Fall sogar schlampig gearbeitet worden. Tatsächlich empfand der weitaus überwiegende Teil der Zuhörer das Konzert und die Leistung des Chores trotz der widrigen Umstände als sehr gelungen.
Ich wünsche mir, dass - bei aller gerechtfertigten Würdigung großer Namen - für künftige Konzertbesprechungen Name und Reputation eine kleinere Rolle spielen als die tatsächliche Leistung. Dann könnten Qualität und Objektivität der im WESTFALEN-BLATT veröffentlichten Rezensionen erhalten bleiben.
Alexander AschoffBielefeld

Artikel vom 27.11.2004