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Aus dem »Cockpit«
einer Schmeißfliege

Mini-Gehirn verarbeitet rasant Vielzahl von Informationen

Bielefeld (sas). Das Gehirn einer Fliege ist nicht einmal so groß wie ein Stecknadelkopf. Trotzdem verarbeitet es im Bruchteil von Sekunden alle Informationen, die das Auge des Insekts während seines rasanten, pirouettenreichen Fluges aufnimmt und setzt sie um: Geschickt wird die Fliege jedem Hindernis und auch der Hand ihres Häschers ausweichen. Wie sie das macht, interessiert die Wissenschaftler.

»Was die Fliege mit ihrem Mini-Gehirn schafft, schaffen Ingenieure und Informatiker, die an autonomer Navigation arbeiten, nicht einmal mit großen Computern«, sagt Prof. Dr. Martin Egelhaaf. Seit mehr als 20 Jahren erforscht er, was im »Cockpit« der Fliege abläuft, während sie sich bewegt. »Sie ist als Modellsystem methodisch besonders gut geeignet, um den Prozessen im Gehirn, die der Verarbeitung des Bildflusses dienen, auf die Spur zu kommen.« Dabei richtet Egelhaaf sein Augenmerk auf die blau-grün schillernde Schmeißfliege: »Sie ist etwas größer.« Und das ist bei seiner Versuchsanordnung durchaus entscheidend.
Mit einer Hochgeschwindigkeitskamera haben der Biologe und seine Mitarbeiter zunächst den Flug einer Fliege verfolgt, ein Computer hat errechnet, was sie gesehen hat. Und das ist viel mehr und rauscht schneller an ihr vorbei, als das, was ein Formel-1-Rennfahrer oder ein Jetpilot verarbeiten müssen. Diesen Film zeigt Egelhaaf nun dem Objekt seiner Neugierde in einem »Fliegenkino« mit Panoramablick und misst die Hirnaktivität.
»Dazu wird die Fliege erst betäubt und dann mittels Kleber fixiert. Durch ein Loch in ihrem Kopf wird anschließend eine sehr feine, hohle Mess-Sonde mit nur einem Zehntausendstel Millimeter Spitzendurchmesser eingeführt, die die Aktivität ihrer Nervenzellen registriert und uns darüber aufklärt, welche neuronalen Netze die Bewegung verarbeiten und in Ausweich- oder Landemanöver umsetzen.« Die Mess-Sonde ist übrigens ein Eigenprodukt: Feinste Glaskapillar-Röhrchen wurden geschmolzen und vorsichtig auseinandergezogen.
In einem nächsten Schritt werden die Erkenntnisse in Modelle umgesetzt und im Computer eine virtuelle Fliege in die Luft geschickt. »Sie zeigt uns, ob unsere Idee funktioniert.« Nur dem Selbstzweck dienen diese Forschungen nicht: Die biologisch inspirierte Robotik setzt auf ihre Ergebnisse. Am Ende der Entwicklung könnte ein Roboter stehen, der sich unabhängig bewegen kann, mittels seiner Augen Informationen aufnimmt und sie verarbeitet. In den USA arbeiten die Militärs an autonomen Flugsystemen, weiß Egelhaaf. Ihm schweben eher Robotereinsätze zum Beispiel in verseuchtem oder verstrahltem Gebiet vor.

Artikel vom 10.12.2004