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Eine Altstadt-Institution
nimmt ihren Abschied

Kiosk-Pächterin: »Mit 73 muss endlich Schluss sein«

Von Burgit Hörttrich und
Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). Ihr Kiosk ist nicht nur der einzige in der Altstadt - er ist eine Institution. »Aber einmal muss Schluss sein,« sagt Amalie Keim. Sie ist 73 und will das Zwölf-Quadratmeter-Lädchen am Gehrenberg am 24. Dezember schließen. »Ich hoffe, es findet sich ein neuer Pächter,« sagt Amalie Keim.

Sie gehe mit einem »lachenden und einem weinenden Auge«. 15 Jahre hatte sie das Büdchen am Gehrenberg gepachtet, hatte vorher schon zwei andere Kioske geführt. »Ich bin früh Witwe geworden, musste mich und meine drei Kinder versorgen,« erzählt sie, während sie zwischendurch Zeitungen und Illustrierte verkauft, Zigaretten und Kaugummi.
»Die Preise habe ich alle im Kopf,« lacht sie. Dass sie aus Schwaben stammt, kann sie nach Jahrzehnten in Ostwestfalen nicht leugnen: Das »Gell« hängt sie an ihre Sätze gern an, die Sprachmelodie ist ihr geblieben. Und das gelegentliche ». . .le« als Endsilbe. Wie bei »Büdle« eben.
»Ich habe viele treue Stammkunden, die holen tagtägliche ihre Zeitungen bei mir,« sagt Amalie Keim. Zwischendurch komme sie auch mal selbst dazu, ein wenig zu lesen, aber: »Meist erzählen mir die Kunden, was es Neues gibt.« Ansichtskarten aus Urlaubsorten hat sie ans Regal geheftet (»Meine Kunden, die vergessen ihre Frau Keim nicht«) und dass sie »La Gazzetta Sportivo« oder »De Telegraaf« eigens für deren Leser bestellt, das sei »doch selbstverständlich«.
Morgens um 7 Uhr sei sie im Laden (»Ich wohne ja gleich um die Ecke«), um 8 Uhr schließt sie den Kiosk auf, mittags macht sie eine Stunde Pause, um 18.30 Uhr ist dann Schluss. »Ein langer Tag,« sagt Amalie Keim. Und sie ergänzt: »Ich stehe seit über 20 Jahren hinterm Ladentisch, aber jetzt wollen die Beine nicht mehr so. . . «
Es gab nicht nur schöne Erlebnisse. Zweimal sei sie überfallen worden, einmal habe sie die Beute, zwei Stangen Zigaretten, zurück bekommen, einmal seien die Täter geflohen, als sie die Beobachtungskamera im Kiosk bemerkt hatten. Amalie Keim: »Daran denke ich nicht gern zurück.« Fehlen werden ihr die »Schwätzchen mit den Kunden über dies und das«. Themen sind Nachbarschaftsklatsch genau so wie Neuigkeiten aus den Königs- und Adelshäusern dieser Welt, politische Schlagzeilen oder der letzte Sieg des DSC Arminia. Was sie mit ihrem Tag anfangen wird, wenn sie nicht mehr hinter der Ladentheke stehen muss? »Da ist meine Familie mit den drei Enkelkindern - und dann bringe ich meine Wohnung in Ordnung. Das ist schon längst überfällig,« hat sich Amalie Keim vorgenommen. Und gibt es einen neuen Kiosk-Pächter, dann, das weiß sie jetzt schon, werde sie es sich nicht verkneifen können, regelmäßig vorbei zu schauen: »Dann aber als Kundin.«

Artikel vom 24.11.2004