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Spuren einer Familie mit Herz

Nikolaus Nadrag zeigt Möbel und Kunstexponate aus dem Bansi-Nachlass


Von Michael Diekmann und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Der Blick in die Werkstattecke mit der Materialkommode kommt einer Reise in die Vergangenheit gleich. Auf der Arbeitsplatte hat Nikolaus Nadrag (52) Flaschen und Werbelogos arrangiert - für Zitronenaroma, Likör und Sirup. Die Namen auf den Flaschen klingen ebenso exotisch wie die Art ihres Inhaltes: Maraschino, Chartreuse, brauner Curaçao. Die Firma hieß Bansi und war bis 1960 ein wichtiger Baustein im Bielefelder Wirtschaftsleben. Die Familie, deren Nachfahren heute in Wien leben, gehörte viele Jahrzehnte lang zu den prägenden Elementen des gesellschaftlichen Lebens und des christlich-sozialen Engagements in dieser Stadt.
Zwischen Kommoden, Anrichten, Schränken, Standuhr und Vitrine beginnt Nikolaus Nadrag die Geschichte zu erzählen. In seiner Restauratorenwerkstatt an der Spindelstraße hat der Antiquitätenspezialist die besonders reizvollen Stücke aus dem Bansi-Nachlass aufgebaut, den er von der letzten Nachfahrin der Bansis erworben hatte. Nadrag hat die repräsentative Villa gegenüber dem Klösterchen, ein »Juwel mit lupenreinen Bauhausapplikationen«, ausgeräumt für den Eigentümerwechsel. Nadrag selbst hat der »Bansi-Bazillus« längst gepackt.
Wie unglaublich vielschichtig die Bereicherung des Bielefelder Gemeinwesens durch die Impulse der im Ursprung schweizerischen Familie Bansi war, kann er an Stücken aus dem unendlich großen Nachlass gewissermaßen aus dem Vollen dokumentieren. Nadrag hat Bansi in den Mittelpunkt seiner einmal jährlich stattfindenden Werkstatt-Ausstellung gerückt; von morgen an können Interessenten den Antiquitätenprofi wieder in seinem Geschäft an der Welle besuchen.
Die Gäste in der Werkstatt tauchten derweil ein in eine faszinierende Welt aus hochwertigen Möbeln, höchst seltenen Büchern und Broschüren, fast vergessenen Werbetafeln, einzigartigen Originalbildern und einer Vielzahl von Porzellantassen und Tellern. Alle sind Einzelanfertigungen mit sehr persönlichen Bildern und Motiven, die jedes für sich von Wohlstand und gutbürgerlichem Leben in Bielefeld erzählen.
Nadrag, 1970 aus seiner Heimat Kärnten nach Bielefeld gekommen, ist fasziniert von der Qualität der Möbel, die nach Jahrzehnten ohne Aufbereitung aus dem Geschäftshaushalt von einst direkt in die Ausstellung gestellt und in einigen Fällen sogar gleich verkauft werden konnten. Nadrag hatte den gesamten Haushalt erworben, vom Dienstbotenzimmer unter dem Dach bis zum Werkzeugkeller samt Zollstock. An den Wänden der Wohnzimmer fanden sich Originale von Karl Muggly: Der einstige Leiter der Werkkunstschule war ein Verwandter der Bansis.
In einer Vitrine ist Nikolaus Nadrag, der die Übernahme eines solchen Haushalts offen als Glücksfall bezeichnet, fündig geworden. Die »Bielefeld-Tasse« mit einer Stadtansicht im Jugendstil ist ebenso ein Einzelstück wie die schweren Empire-Gläser mit eingeschliffenen Namenszügen. Zur Goldhochzeit von Hermann Graeber und Johanna Bansi wurde eine vergoldete Tasse mit Goldrand angelegt. Im Gefäß nebenan, einer Tasse mit dem Konterfei der Enkel, hatte Johanna Graeber die Namen der Kinder auf einem Zettel deponiert.
Auch auf viele Spuren des sozialen Engagements ist Nikolaus Nadrag, der mit größter Hochachtung von Sequenzen aus dem Familienleben der Bansis berichtet, gestoßen. Die Bansis besaßen Bürgersinn im besten Sinne, engagierten sich mit einer Stiftung für verschämte Arme, waren maßgeblich am Funktionieren einer Speiseanstalt um 1907 beteiligt und spendeten für ein Krankenhaus.
Und schließlich pflegten die Bansis nicht nur allerlei im Berliner Glanz der Jahrhundertwende gebotene Anlässe zu feiern, sondern brachten auch Berliner Errungenschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Volksbäder 1899 in die westfälische Provinz. Den Aufruf zum Eintritt in die Bielefelder »Volksbade-Gesellschaft« unterschrieben neben Pastor Friedrich von Bodelschwingh gleich vier Herren der Familie Bansi. Zum Nachlass gehört auch ein Bild mit ebenso seltener wie besonderer Widmung: Friedrich von Bodelschwingh hat es um 1900 an Gottfried Bansi und dessen Familie gegeben.
Im Jahr 1922 taucht in der Familiengeschichte der Name von Hermann Graeber auf. Der Architekt aus Hagen, der in der Werbeabteilung des Unternehmens arbeitet, heiratet Johanna Bansi, und das Paar bekommt drei Kinder. Der Sohn Hermann, der die Firma einmal übernehmen sollte, fiel in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges. Tochter Ruth wurde Musikerin, und Tochter Margrit, die letzte Firmeninhaberin, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung. Die heutigen Gesprächspartner von Nikolaus Nadrag leben in Wien.
Die Besucher der Nadrag-Ausstellung am Wochenende vertieften sich mit großer Begeisterung in die Geschichte der Bansis - in die hochprozentige, die in den sechziger Jahren ausgerechnet zu Zeiten des Wirtschaftswunders endet, und in die großherzige wohltätige. Die darf Bielefeld nicht vergessen.

Artikel vom 24.11.2004