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In Holzschuhen zum Unterricht

Erna Huwendiek (93) und Richard Heidemann (94) besuchen ihre alte Grundschule

Von Matthias Meyer zur Heyde und Hans-Werner Büscher (Foto)
Bielefeld (WB). »Die Uhr ist weg!« Aber noch anderes hat sich verändert: Nach gut 80 Jahren erkennen Erna Huwendiek und Richard Heidemann ihre alte Penne, die Sudbrackschule kaum noch wieder.

In Holzschuhen oder barfuß kamen Erna Huwendiek, geb. Dücker, und ihre Mitschüler einst zum Unterricht. 1916, mitten im Weltkrieg, als die Schule noch als Lazarett fungierte, wurde die heute 93-Jährige eingeschult und kam in eine Klasse mit Richard Heidemann (94). Wirklich Spaß hat ihr die Paukerei nie gemacht. Heidemann dagegen nennt Naturkunde (Biologie) und Erdkunde als Lieblingsfächern - »aber bleibt mir bloß weg mit Rechnen!«
Da müssen die Kinder der 2a und er 4c herzlich lachen. Die Schüler empfingen gestern die beiden heute im Wohnstift Salzburg lebenden Senioren mit Gedichten, einem fröhlichen Lied und vor allem mit vielen Fragen. »Seid ihr auch mal bestraft worden?«, will Mike wissen. »Klar«, antwortet Heidemann. »Und zwar mit dem Rohrstock! ÝLernst du was, dann kannst du wasÜ, pflegte unser Lehrer August Plöger bei jedem Hieb zu sagen.«
Plöger sei »ulkig« gewesen: »Der besaß ein Stück Land und bestellte die schlechtesten Schüler regelmäßig zur Kartoffelernte.« Das könnte er mit keinem der 450 Kinder machen, die heute in 18 Klassen von 26 Lehrerinnen, dem Konrektor und dem Lehramtsanwärter unterrichtet werden.
So viele Klassenzimmer, so weite Flure, so helle Gebäude - die beiden Gäste kommen aus dem Staunen kaum heraus. »Weil's keine Turnhalle gab, haben wir früher draußen Sport getrieben.« - »Auch Fußball?« - »Ja, und dabei ist manche Fensterscheibe zu Bruch gegangen.«
So viel wurde gestern deutlich: Trotz aller Entbehrungen hatten die Kinder auch vor über 80 Jahren ihren Spaß. So schön fanden Erna Huwendiek und Richard Heidemann die Rückkehr an ihre alte Wirkungsstätte, dass sie Gummibärchen verteilen ließen. Und gerührt nahmen beide ein weihnachtlich dekoriertes Blumentöpfchen aus Kinderhand entgegen.

Artikel vom 24.11.2004