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Auch ein Männerleiden
Brustkrebs wird bei »ihm« oft zu spät erkannt - Zahlen steigen deutlich an
Es fing an mit einer kleinen, aber wesentlichen Veränderung. In der Sauna entdeckte Eckhard Retlow, dass eine seiner Brustwarzen plötzlich eingezogen war.
Doch erst als er Wochen später bei sich einen walnussgroßen Knoten im Gewebe ertastete, suchte er einen Arzt auf. Die überraschende Diagnose: Brustkrebs. Acht Jahre sind seitdem vergangen. »Hätte ich damals schon gewusst, dass auch Männer diese Krankheit bekommen können, hätte ich die Zeichen viel früher erkannt«, sagt der 64-Jährige. »Dadurch hätte die Bildung von Metastasen wahrscheinlich vermieden werden können.«
Dem Firmenchef wurden operativ Brustwarze und Brustdrüsengewebe entfernt, es folgten Bestrahlungs-, Chemo- und Hormontherapien. Von Normalität ist in seinem Leben keine Rede mehr. Starke Kopfschmerzen, Inkontinenz, Gefühllosigkeit und Schwäche bestimmen heute seinen Alltag. Retlow hat sich zum Ziel gesetzt, andere Männer auf die unterschätzte Gefahr hinzuweisen.
Die Unwissenheit bei Männern bestätigen auch die Experten. »Männer haben das Problem, dass ein Mammakarzinom eher spät entdeckt wird, denn es rechnet kaum jemand damit«, sagt Professorin Rita Schmutzler, Leiterin des Zentrums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs der Universitätsfrauenklinik Köln. In der Frauenklinik werden auch Männer mit Brustkrebs behandelt, denn dort ist das Fachwissen über diese Erkrankung am größten. Die Medizinerin rät bei ersten Anzeichen wie Schwellungen, Verdichtungen, Rötungen oder der Bildung von Sekret aus der Brustwarze sofort zur Vorsicht.
Im Vergleich zu den registrierten Fällen bei Frauen ist die Krankheit bei Männern immer noch eine Rarität. »Unter den letzten 3000 Brustkrebs-Patienten, die wir in unserer Klinik behandelt haben, waren zwölf Männer«, sagt Professor Walter Jonat, Direktor der Universitäts-Frauenklinik in Kiel. Doch dass der Brustkrebs bei Männern zunimmt, belegt die Zahl der Todesfälle: Während 1991 in Deutschland laut Statistischem Bundesamt noch 120 Männer dem Mammakarzinom zum Opfer fielen, stiegt die Zahl innerhalb von zehn Jahren nahezu kontinuierlich auf 230 Tote im Jahr 2002. Eine ähnliche Entwicklung wird den Experten zufolge in den meisten Industrie-ländern registriert.
Wird Brustkrebs entdeckt, erfolgt die Behandlung bei Männern genauso wie bei Frauen. »Allerdings belastet die Therapie Männer meistens besonders, denn bei ihnen kann man die Brust kaum schonen«, sagt Rita Schmutzler. Eine regelmäßige Kontrolluntersuchung wie bei Frauen halten die Ärzte bei Männern jedoch nicht für sinnvoll, dafür sind die Fälle zu selten. »Jede Veränderung der Brustwarze, der Brust oder ihrer Haut sollte aber vom Arzt geklärt werden«, rät Jonat.
Außerdem empfehlen die Wissenschaftler jedem, den eigenen Stammbaum genau zu betrachten. »Es macht Sinn zu gucken, ob es in der Familie Fälle von Brustkrebs gegeben hat. Eines der zwei bekannten Risikogene für Brustkrebs führt nämlich auch bei Männern in etwa fünf Prozent der Fälle zu Brustkrebs.
Kai Gerullis

Artikel vom 30.04.2005