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Kunst-Messe und Kunst-Almosen


Zu der Berichterstattung über die OWL-Kunstmesse ging folgende Zuschrift ein:

Am vergangenen Wochenende war Kunstmesse OWL in Bielefeld, und dieser Titel soll hier einmal im Sinne einer quasi religiösen Veranstaltung ausgelegt werden. Die Priesterschaft der Kunstvermittler hatte Kosten und Aufwand nicht gescheut und in einer bewundernswerten Leistung eine leerstehende, dunkle Halle zum erleuchteten Kunsttempel oder mindestens zum Missionszelt auf Zeit verwandelt. Das ganze Wochenende war bestückt mit Andachten (Führungen und Vernissagen) hier und an anderen Orten (Eröffnung Irshaid im Kunstverein, Black Market in der »Rampe«).
Die gläubigen Besucher der Messen und Andachten nutzten das Angebot im besinnlichen Herbst, sich von der Kunst das Erhabene präsentieren zu lassen, den Alltag zu transzendieren, mal zu reflektieren, gar wahr-zunehmen. Der günstig an alle ausgeschenkte Messwein erhöhte das Gefühl, und man genoss Wiedersehen und Gespräch in vertrauter Gemeinde. Im Angesicht des Erhabenen in erhobene Stimmung versetzt, flanierte man vor den Werken auf rotem Teppich, delektierte sich an den Selbstentäußerungen, den Transformationen, den Kritiken, den neuen Blicken, die man dort von armen Künstlern dargeboten fand.
Der Weinverkauf schien jedoch das einzig florierende Geschäft zu sein, das Geld in den Opferstock brachte, denn gekauft wurden nur Kleinstarbeiten (am ersten Abend eine Arbeit für 98 Euro). Die von der Kunst profitierenden reichen Gläubigen gaben insgesamt genommen also gerade mal Almosen, 10 Pfennigstücke und alte Knöpfe in den Klingelbeutel.
Am kulturellen Kult zu partizipieren, ohne ihn zu finanzieren, ist Sünde. Um Messe und Andachten erhalten zu können, brauchte es mindestens für 30.000 Euro Verkauf, um mit cirka 25 Prozent dieses Umsatzes die Kosten zu decken. Wer die Kunstkirche für sich nutzt, der muss auch Steuern dafür zahlen: nach einem alten Brauch den Zehnten. Mag die Sünde, die Leistung der Priesterschaft nicht zu honorieren und den Ankauf des Konsumierten zu boykottieren, noch klein oder gar lässlich sein, so wird es richtig gemein im Bezug auf den »Künstler dein«.
Denn im Kunst-Kult entsteht das große Gefühl, die Transzendenz, die volle Wirkung, wenn und weil sich die Künstler öffentlich dem Martyrium hingeben, vor dem Volke ihre Adern öffnen, stellvertretend für dessen Sünden sich schinden. Okay, etwas weniger dramatisiert: die Künstler, diese Erfinder der Ich-Ags, die für Hungerlohn ackern (häufig ohne Murren jahrzehntelang), um Ausdruck zu erringen, Aussagen zu verdichten, Ungesagtem Bilder zu erschaffen, Vergessenes zu erinnern, Gefühle zu erwecken, Sinne zu schulen, Denken zu schenken, Spiegel vorzuhalten, Utopien zu ersinnen, Tiefen auszuloten, Sinn zu finden, Fragen zu stellen, Antworten zu verweigern usw. Diese enorme Arbeit und diesen Dienst mit Almosen abzuspeisen oder gar für lau abzuzocken, grenzt an Frevel und muss gegeißelt werden.
Also, Ihr Pharisäer der Kunstmessen: entweder Ihr bezahlt für das, was diese Geringsten für Euch getan haben, oder geht in die Wüste (sprich: vor den Fernseher). Entweder kauft oder geht nicht mehr hin zur Andacht. Aber lasst diese Entwürdigung, die Produkte der Künstler zu konsumieren, ohne sie zu honorieren. Entehrt sie nicht weiter durch Almosen! Lassen wir das scheinheilige Gesülze: Kauft Kunst, Ihr Bürger und zwar satt und lang - verdammt noch mal!
Prof. Dr. BenediktSTURZENHECKERBielefeld

Artikel vom 23.11.2004