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Von hoher
Schlichtheit in Form und Linie

Hilliard Ensemble bei Pro Musica

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Sie heißen David James, Rogers Covey-Crump, Steven Harrold und Gordon Jones und sind als solche ziemlich unbekannt. Den Olymp der Vokalpolyphonie stürmen die vier Sänger allerdings regelmäßig als »The Hilliard Ensemble«, das seinem Ruf, zu einem der besten A-Cappella-Quartette der Welt zu gehören, im dritten Pro Muscia-Konzert der Saison alle Ehre machte.

Die Vokalmusik vor 1600 klanglich zu beleben, ja regelrecht zu entdecken und aus ihrem Archivdasein zu befreien, darauf haben sich die »Hilliards« spezialisiert. Auf bemerkenswerte Weise gelingt ihnen aber auch der Cross-over mit ganz anderen Musiksparten -Êein Umstand, der den Ruhm und die Bekanntheit des Ensembles zweifelsohne gemehrt hat. Man denke nur an die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Jazzmusiker und Saxophonisten Jan Garbarek und der gemeinsam produzierten »Officium«-CD. Abgesehen von ihrer über alle Zweifel erhabenen Gesangskultur erweist sich die Experimentierfreude und Offenheit des Ensembles auch bei Gegenwartskomponisten als eine dankbare Vorlage für Werke, die man den »Hilliards« auf den vierstimmigen Vokalleib geschrieben hat. Rudolf Keltenborn etwa gehört dazu, dessen Sonett-Vertonungen (unter anderem von Trakl und Petrarcha) den polyphonen Stil und Vollklang der Renaissance gewissermaßen adaptieren, indes harmonisch-melodisch und rhythmisch leicht abwandeln. Dem Anspruch »imitar le parole«, nach dem die Musik den Text in Affekt und Ausdrucksgehalt nachahmen soll, fühlen sich die vier Sänger hier wie da verpflichtet. Zweifelsohne war es sehr reizvoll, Kelterborns stilisierte Madrigale den gefälligeren französischen Chansons von Philippe Caron -Êübrigens unbekannt wie die meisten Komponisten des Programms -Êgegenüberzustellen.
Typische Stilmerkmale italienischer, französischer und englischer Vokalkunst der Renaissance wurden vom Hilliard Ensemble in der nahezu ausverkauften Oetkerhalle ebenso nuanciert wie klangrund dargeboten. Kunstvoll, aber ungekünstelt, ausgewogen im Gesamtklang, aber dennoch in jeder Einzelstimme sehr exponiert klingt bei ihnen die neue Einfachheit der Linie, der Form und der Proportion, die die Renaissance nicht nur von der Baukunst und der bildenden Kunst forderte, sondern auch von ihrer Musik.
Natürlichkeit im Ausdruck und pulsierende rhythmische Lebendigkeit zeichnen dieses gesangsstarke Quartett aus. Wenn der Applaus des Pulikums nicht ganz so stürmisch wie gewohnt ausfiel, dann vielleicht deshalb, weil der Werkekanon frei nach dem Motto »Love among the ruins -ÊLiebe in Ruinen« in der überwiegenden Zahl melancholische Gefühle zum Ausdruck brachte. Der Qualität des Vortrags tat das keinen Abbruch.

Artikel vom 23.11.2004