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Richter für mehr Erziehung

Täter unter 21 Jahren begingen 2003 in NRW 140 000 Delikte

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Angesichts hoher Kinder- und Jugendkriminalität haben die nordrhein-westfälischen Richter gestern eine »Erziehungsoffensive« gefordert. »Elternhäuser, Kindergärten und Schulen sind in der Pflicht«, sagte der Geschäftsführer des Landes-Richterbundes, Jens Gnisa aus Bielefeld.

Kinder unter 14 Jahren haben im vergangenen Jahr in NRW etwa 27 000 Straftaten begangen, 14- bis 18-Jährigen wurden 62 000 Taten zur Last gelegt, und 18- bis 21 Jahre alte Täter sollen für weitere 51 000 Delikte verantwortlich sein. Damit sind Menschen unter 21 Jahren, die 23 Prozent der NRW-Bevölkerung darstellen, für 30 Prozent der Straftaten verantwortlich.
»Eine wesentliche Ursache ist die unzureichende Erziehung«, erklärte Gnisa, der als Familienrichter am Oberlandesgericht in Hamm arbeitet. Viele Kinder lebten im materiellen Überfluss, Grenzen würden ihnen oft aus Bequemlichkeit nicht mehr aufgezeigt. »Die wissen gar nicht mehr, was normgerechtes Verhalten ist.« Neben Eltern hätten aber auch viele Lehrer »beunruhigend an Autorität verloren«, sagte der Bielefelder. Das liege auch daran, dass manche Schulen in Sorge um ihren Ruf nicht konsequent gegen Störer vorgingen sondern versuchten, den Fall unter der Decke zu halten und Opfer zum Verzicht auf Strafanzeigen zu drängen. »Dass zumindest wir Richter trotzdem weiterhin für Jugendliche eine Autorität darstellen und respektiert werden, liegt eben auch daran, dass wir Fehlverhalten mit erheblichen Strafen ahnden«, sagte Gnisa.
Der Richterbund Nordrhein-Westfalen fordert, dass der Staat dem Thema Erziehung künftig deutlich mehr Stellenwert einräumt als den Bereichen Umwelt, Kultur und Gleichstellung. Jungen und Mädchen, die keinen Kindergarten besuchten, sollten mit vier Jahren zu einer ärztlichen Pflichtuntersuchung, um Entwicklungsdefizite frühzeitig zu entdecken. Und die Schulen sollten wirksamere Instrumente bekommen, um massives Fehlverhalten von Schülern zu bestrafen: »Ein Schulverweis ist keine Lösung, sondern kontraproduktiv. Wir stellen uns stattdessen vor, dass für einige Schüler die Ferien verkürzt werden.«
In ihrem Reformstreben nimmt sich die Richterschaft nicht aus: »Es gibt Diskussionen, ob bei jugendlichen Straftätern nicht viel eher ein Arrest verhängt werden soll - quasi als warnender Schuss vor den Bug.« Denn Bewährungsstrafen verfehlten leider oft ihr Ziel, erklärte der Richter. So hatte die Kripo Bad Oeynhausen in der vergangenen Woche zwei 15 Jahre alte Täter festgenommen, die 20 Einbrüche in Porta Westfalica, Bad Oeynhausen, Löhne, Detmold und Paderborn begangen hatten. Polizeisprecher Werner Wojahn: »Die beiden waren erst im April wegen 100 ähnlicher Straftaten verurteilt worden - auf Bewährung.« Kommentar: Seite 4

Artikel vom 19.11.2004