18.11.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Der Star-Tenor
verzaubert mit
der Winterreise

René Kollo singt in der Marienkirche

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Nach der Opernkarriere macht sich René Kollo (67) nun einen Namen als Liedinterpret. Begleitet vom Pianisten Oliver Pohl sorgte der gefeierte Star-Tenor am Dienstagabend in der Neustädter Marienkirche nicht nur mit einer ausgereiften Interpretation von Schuberts »Winterreise« für Furore. Beide Künstler verzichteten auch auf ihre Gage. Der Erlös des Benefizkonzerts kommt dem Ortsverband Bielefeld des Deutschen Kinderschutzbundes zugute.

An dem Schubertschen Stimmungszyklus mit seinen 24 um Verzicht und Entsagung kreisenden Liedern scheidet sich die sängerische Spreu vom Weizen. Aber René Kollo kann einen reichen Erfahrungsschatz sowie Charisma, diese undefinierbare Mischung aus Bühnenpräsenz und Stimmqualität, in die Waagschale werfen und kommt dabei zu einer eigenen, angenehm ungekünstelten Interpretation der expressiven Kunstlieder.
Stimmlich ist Kollo immer noch reich gesegnet mit einer ausgeglichen harmonisch timbrierten Fülle. Wohllautende Mittellage, erhabene Tiefe, stählerne Höhe liefern die Farben, mit denen der Tenor das Bild aus Verzweiflung und Apathie gekonnt changieren lässt. Und seine unnachlässige, aber unaufdringliche Gespanntheit hält den Hörer über die Dauer des gesamten Zyklus' in Atem.
Charakteristisch für Kollos Sicht auf Schubert ist, dass er ohne falschen Pathos zu bemühen und ohne zu verklären, doch zu einem innig bewegenden Gefühlsausdruck kommt. So wirkt das »Gute Nacht« bei ihm wie hingegossen, sehr flüssig im rhythmischen Gestus und doch wunderbar lyrisch ausgeformt. »Der Lindenbaum« rauscht bei ihm wohltuend ruhig, im volkstümlichen Ton -Êwo nichts ist, da trägt Kollo auch nichts künstlich hinein.
Gleichwohl weiß er, wo Gefühlsaufruhr angebracht ist, diese nuanciert, aber eindringlich auszuspielen: Etwa in herrlich zart anhebenden Crescendi-Bögen (Auf dem Flusse, Die Krähe). Insgesamt aber durchwandert er diese Seelen-Innenräume des Liederzykluses eher lyrisch-verhalten, als dass er all zu dramatisch und überschwänglich artikuliert. Das wiederrum macht seine Interpretation nicht nur glaubwürdig, sondern auch meisterhaft, da er im hochausgereiften Kunstlied zu einem völlig natürlichen Gefühlsausdruck kommt.
Kongenial fügte sich Oliver Pohl ins Bild. Der Pianist begleitete subtil, malte auch schon mal im tonmalerischen Duktus Stimmungsbilder, blieb aber sonst eher diskret zurückhaltend bei einer wunderbar nuancenreichen, pointierten Anschlagskultur.
Einziger Wermutstropfen des ansonsten gelungenen Konzertabends: Die hallige Akustik der Neustädter Marienkirche nebelte viele Nuancen wieder zu.

Artikel vom 18.11.2004