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Zwangsheirat wie Nötigung

Muslimische Frauen in Deutschland oft rechtlos und unterdrückt

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Die Zwangsverheiratung von jährlich 30 000 muslimischen Frauen in Deutschland soll künftig genau so schwer bestraft werden wie Nötigung, Menschenhandel und Verschleppung/Entführung.
Frauen im Islam: Wann lüftet sich für sie der Schleier?

Begleitet wird der Gesetzesvorstoß aus Baden-Württemberg zur Schaffung des Straftatbestandes »Zwangsheirat § 234 b« von Berichten über die Misshandlung und sklavenähnliche Haltung muslimischer Frauen in Deutschland. Seit Jahren werde versucht, die Scharia in das deutsche Recht zu infiltrieren, erklärte die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Im »Spiegel« fordert sie, mit dem Grundgesetz gegen die Hetze demokratiefeindlicher Moscheevereine vorzugehen und bedrohten Frauen und Mädchen zu helfen. Gerade wegen der Ermordung des Niederländers Theo van Gogh dürfe niemand zu dem von ihm und der Muslimin Ayaan Hirsi angeprangerten Thema schweigen.
»Zwangsverheiratungen sind für einen Teil junger türkischer Frauen - auch bei uns in Ostwestfalen-Lippe - Realität« erklärte gestern Angelika Gemkow, die für die CDU den Antrag »Zwangsehen verhindern« letzte Woche in den NRW-Landtag eingebracht hat. Auch die Grünen unterstützten das Anliegen, sagte Gemkow.
Über das genaue Ausmaß lägen kaum gesicherte Daten vor, auch NRW habe auf CDU-Anfrage einräumen müssen, keine Informationen zur genauen Zahl von Zwangsheiraten zu haben. In Deutschland gehe man von 30 000 Fällen pro Jahr aus. In Frankreich habe man 70 000 Zwangsehen 2003 ermittelt.
Unterdessen hat die Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser begonnen, Gewalt gegen muslimische Migrantinnen genauer zu erfassen. Prügelnde Ehemänner habe es auch in diesem Milieu immer schon gegeben, sagte Beatrice Tappmeier vom Autonomen Frauenhaus Bielefeld, aber die bekannt werdenden Fälle nähmen zu. Oft wüssten Frauen gar nicht, dass sie von der Polizei Hilfe und nicht Abschiebung zu erwarten hätten. Ihre Männer nutzten das »repressive Ausländerrecht« gezielt aus und isolierten sie total.
Musliminnen leiden in Deutschland mindestens doppelt so häufig unter Gewalt und Freiheitsentzug wie nicht zugezogene Frauen. Die ihnen beigebrachten Verletzungen sind schwerer - auch als bei Frauen mit osteuropäischem Hintergrund. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung im Auftrag von Bundesfrauenministerin Renate Schmidt (SPD). An der Studie mitgewirkt hatte ein Team am Interdisziplinären Zentrum für Frauen und Geschlechterforschung der Universität Bielefeld.
Themen der Zeit: »Ende der Konsensgesellschaft: Wieviel Islam verträgt Europa?« und Leitartikel

Artikel vom 17.11.2004